SPOILERWARNUNG: Enthält Spoiler für die 1. Staffel „Angel“ insbesondere für „I’ve Got You Under My Skin“, eine Episode, die dem Zuschauer einen tieferen  Einblick in Wesleys Vergangenheit erlaubt.

VORWORT:  Der vorliegende Text beruht auf dem Wesley/Giles-Dialog aus Bimos Geschichte Scherben. Im Gegensatz zu  Scherben werden  hier die Ereignisse jedoch aus der Perspektive Wesleys geschildert. Es sei jedem interessierten  Leser daher ans Herz gelegt, sich beide Geschichten zusammen zu Gemüte zu führen. Der Effekt, ein und dasselbe Gespräch aus zwei verschiedenen Sichtweisen präsentiert zu bekommen, ist absolut faszinierend :-)

 

 

SPLITTER
 Selena

Die Sonne in Kalifornien, dachte ich mehr als einmal, ist allgegenwärtig, und daher unwirklich. Eine Spur zu grell, wie die Himmel viel zu blau ist, um realistischer zu sein als ein endloses Stück Zelluloid. Seit meiner Ankunft in diesem Land vermisse ich den Nebel, die feuchte, prickelnde Kühle am Morgen, all die unendlichen Zwischentöne, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich hätte nie geglaubt, daß ich einmal dankbar für die gleißende amerikanische Sonne sein würde. Heute bin ich es. Soweit mir das die Stützmanschette um meinen Hals gestattet, betrachte ich sie, wie ich es getan habe, seit sie aufgegangen ist. Dabei reflektiere ich, daß es wohl einer Sonnenfinsternis und eines gerade noch verhinderten Sturzes ins dämonische Chaos bedurfte, um mich für etwas in Amerika dankbar sein zu lassen.

Es klopft, und ich zucke zusammen. Der Stationsarzt hat seine morgendliche Visite schon hinter sich gebracht, sehr eilig; ich bin nicht der einzige in diesem Krankenhaus, im Gegenteil, nach dem gestrigen Tag gibt es mehr als genug Patienten zu versorgen, die schwerer verletzt sind. Besonders eine, denke ich, und der Gedanke schmerzt tiefer als die Verstauchung meiner Wirbelsäule, die mir meine nicht gerade ruhmreiche Teilnahme am gestrigen Kampf um die Rettung von Sunnydale eingebracht hat. Ich tue mein Möglichstes, um den Gedanken sofort wieder zu verscheuchen, und begrüße, wer auch immer vor meiner Tür steht, auch wenn ich keine Ahnung habe, wer es sein könnte. Doch selbst ein Dämon wäre willkommener als der Gedanke an Faith.

 „Hallo Wesley“, sagt Rupert Giles, während er mein Krankenzimmer betritt, und ich frage mich, ob das Schicksal mich jedesmal beim Wort nehmen wird. Nicht, daß Giles ein Dämon wäre; er ist nur einfach der letzte Mensch, den ich gerade jetzt zu sehen erwartete, oder sehen möchte. Es ist charakteristisch für ihn, daß er mich bei meinem Vornamen anredet.  In einem zumindest hatte Travers recht, er ist amerikanisiert. Es käme mir nie in den Sinn, ihn umgekehrt „Rupert“ zu nennen, aber angesichts dessen, was geschehen ist, erübrigt sich ein weiteres Beharren auf die Form wohl. Ich nehme meine Zuflucht in der Anredeform, die wir in der Schule benutzten, der einfache Nachname, ohne ein höfliches Präfix.

„Hallo Giles.“

Er sieht erschöpft aus, nicht weiter verwunderlich nach den gestrigen Geschehnissen. Im Gegensatz zu mir stand er schließlich bis zum Schluß noch auf den Beinen. Ich frage mich nur, warum er hier ist. Es kann nichts mit Buffy oder ihren Freunden zu tun haben; als ich von den Sanitätern abgeholt wurde, waren sie alle noch am Leben und gesund. Im übrigen, selbst wenn einem von ihnen etwas geschehen wäre, warum sollte sich Giles die Mühe machen, mich davon zu unterrichten?

 „Wie fühlen Sie sich?“ fragt er, und da ich aus seiner Stimme nichts anderes als eben diese Frage heraus hören kann, gestatte ich mir, zu glauben, daß er wirklich meinetwegen hier ist. Um mich zu besuchen. Es bringt mich aus der Fassung, und ich versuche mich an einem kleinen Scherz, von dem ich hoffe, daß er nicht genauso mißglückt wie alle anderen derartigen Experimente meinerseits. In Gedanken krümme ich mich immer noch, wenn ich an Buffys eisigen Blick denke, als ich meinen sorgfältig vorbereiteten Auflockerungsversuch für erste Gespräche mit Jägerinnen („Für eine gute Jägerin gibt es drei Regeln: Vorbereitung, Vorbereitung, Vorbereitung“) machte.

„Schon wieder recht gut. Das heißt, solange ich nicht den Fehler begehe, mich aus der Horizontalen zu bewegen.“

Giles lächelt ein wenig. Er sieht jünger aus, wenn er das tut. Ich kenne sein genaues Alter aus den Akten, aber so vieles in den Akten hat sich als unrichtig oder fehlleitend erwiesen, daß es mich nicht wundern würde, wenn sogar das Geburtsdatum von Rupert Giles falsch eingetragen worden wäre. Als Quentin Travers mir das Material übergab, sagte er: „Sie sind ungewöhnlich jung für diese hohe Aufgabe, aber wir haben bei Ihrem Vorgänger die Erfahrung machen müssen, daß Alter nicht vor Torheit schützt. Im Gegenteil, im Fall von Rupert Giles würde ich fast von verfrühter Senilität sprechen. Er hat sich von dem Mädchen ganz und gar einwickeln lassen und benimmt sich wie ein nachsichtiger Vater, statt wie ein Wächter. Ja, noch schlimmer, er läßt ihr Dinge durchgehen, denen jeder Vater sofort einen Riegel vorschieben würde.“  Da ich nie wissen werde, wie sich ein nachsichtiger Vater benimmt, hatte ich keinen Vergleichsmaßstab, doch die Fakten, die Travers in seinem Dossier zusammengestellt hatte, gaben in der Tat kein schmeichelhaftes Bild ab. Am meisten entsetzte mich damals, nach der ersten Lektüre,  daß Giles es der Jägerin gestattet hatte, sich mit einem Vampir einzulassen. Und nicht mit irgend einem Vampir, sondern mit einem der gefährlichsten seiner Art. Verfrühte Senilität war noch freundlich ausgedrückt, dachte ich, und das erste, was ich nach meiner Ankunft in Sunnydale tat, war, meinen Vorgänger umgehend meine Meinung über sein Fehlverhalten als Wächter zu sagen, nur einige Stunden, ehe er einem Dämon tatsächlich sein Leben für meins anbot, obwohl er keinen Hehl daraus machte, daß er mich verabscheute. Das war der Punkt, an dem ich anfing, an Travers und seinem Dossier zu zweifeln, doch es war zu spät, soweit es Giles betraf.

 „Schön, dass es Ihnen besser geht“, sagt er nun und klingt immer noch nicht so, als gebe er nur eine höfliche Lüge von sich. Er geht ein paar Schritte auf mich zu; jetzt sehe ich, daß er etwas in der Hand hält. Einen kleinen, mit Obst gefüllten Korb, verziert mit einer Schleife. Ein Geschenk. Als mir das letztemal jemand etwas schenkte, war es die Schulleitung; wir erhielten alle einen Kricketschläger und die Schulkravatte zur Erinnerung an unseren Abschluß. Einen Moment lang bin ich zu fassungslos, um sprechen zu können. Mit allem anderen wäre ich besser fertig geworden, selbst, wenn er ein paar schneidende Bemerkungen über mein klägliches Versagen beim Kampf gegen den Bürgermeister gemacht oder mir vorgeworfen hätte, die Bücher seiner Bibliothek beim Einpacken nicht richtig sortiert zu haben.

„G-Giles, das wäre wirklich nicht nötig gewesen....“ bringe ich schließlich hervor, und halte inne, bevor ich noch weiter stottere und mich ganz und gar zum Narren vor ihm mache. Es ist eine höfliche Geste, sage ich mir, weiter nichts, und du schuldest es dem Mann zumindest, sie auch wie ein Gentleman zu akzeptieren, statt wie ein Schuljunge. Wie ein fernes Echo höre ich meinen Vater rufen „Um Himmels Willen, Junge, stell dich nicht so an!“ Die Erinnerung ist noch weniger erträglich als die an die Früchte meines Versagens als Wächter, doch sie hat den gewünschten Effekt. Ich habe mich wieder im Griff.

Giles zuckt die Achseln.  „Betrachten Sie es als ein stillschweigendes Friedensangebot, wenn Sie möchten.“

Ich frage mich, ob es die ganze Zeit tatsächlich so einfach gewesen wäre.

 „Wenn ich geahnt hätte, dass es genügt, mich von einem erzürnten Vampir vollkommen außer Gefecht setzten zu lassen, um das von Ihnen zu hören, ich hätte bestimmt nicht zum Tage des Aufstiegs damit gewartet“, erwidere ich, ehe ich mich zurückhalten kann.

Diesmal schweigt Giles; die Miene, die er macht, ist nicht leicht zu deuten. Es scheint mir eine Mischung aus Verwunderung und Verärgerung zu sein. Er hebt eine Hand und läßt sie wieder sinken. Es erweckt in mir den absurden Wunsch, meine Brille zu polieren, was vollkommen unnötig ist; ich habe es erst vor kurzem getan, weil meine Augen wegen des ständigen Blickens zur Sonne tränten, und habe sie dann auf das Tischchen neben mir gelegt. Schließlich gibt es hier außer der Bibel und dem Krankenhausmenü nichts zu lesen.

 „Wesley“, meint er schließlich zögernd, „einige der scharfen Worte die gefallen sind, hatten nichts mit Ihnen als Person zu tun. Nur mit meinem und Buffys Zorn über die Entscheidungen des Rates.“

Oh nein. Das ist zu einfach. Mit einem Mal fühle ich mich nicht mehr nur verlegen und beschämt. Zorn? Wie ein lang gehegtes Saatgut keimt Zorn in mir auf, Zorn, der sich endlich Luft machen will. 

“Sie haben mir nie die geringste Chance gegeben“, entgegne ich und starre an ihm vorbei, nicht zum Fenster hinaus, sondern an die Wand mit dem Chagall-Druck, den ich inzwischen oft genug gemustert habe, um sogar Spekulationen über das Entstehungsjahr des Originals machen zu können. Stattdessen sehe ich Giles vor mir, wie er sagt „Ich habe dem nichts hinzuzufügen“, mit einem eisigen Blick, der genauso schlimm ist wie Buffys vorhergehende Tirade. Ich sehe Giles vor mir, wie er mich ignoriert, als ich ihn bitte, der Jägerin klar zu machen, daß man ihre Freundin Willow auf andere Art retten müsse, nicht durch die Übergabe eines unbedingt notwendigen Werkzeugs an einen im Aufstieg begriffenen Dämon. Giles, wie er Buffys und Faiths offene Beleidigungen durch unendlich subtileren und daher umso treffenderen Sarkasmus unterstützt und mir bei jeder Gelegenheit klar macht, wie überflüssig ich in Sunnydale bin.

„Was hätten Sie anderes von mir erwartet? Etwa, dass ich in über Ihre Anwesenheit in Jubel ausbreche?“

Er tut es schon wieder. Nun, da er gefragt hat...

„Was ich erwartet habe, Giles? Nur ein wenig Fairness, zumindest von den Jägerinnen. Der neue Wächter? Hah, Scheiß drauf. Hoffentlich ist er wenigstens nicht gefährlich.“

 „Sie kennen die ersten Einträge meines Tagebuchs. Die Warnung vor Buffys Ausdrucksweise befindet nicht umsonst darin.“

Buffys Ausdrucksweise, so verwirrend sie manchmal sein kann, war nur die Spitze des Eisbergs. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, Buffy sagte mir nichts, was ich während meiner gesamten Kindheit nicht ständig zu hören bekam, und das auf sehr viel unangenehmere Art, denn Buffy stand mir nie nahe genug, um die schlimmsten wunden Punkte zu kennen. Mit einem Mal ist der Zorn, der mich für kurze Zeit befähigte, Giles die Stirn zu bieten, wieder verflogen. Ich hätte es wissen müssen. Man kann ihm nicht entkommen. Die Jägerinnen haben es an mir gespürt, Giles hat es an mir gespürt, und auch ich weiß es: dem Makel des Versagens kann man nicht entkommen. Alles andere, die hervorragenden Ergebnisse bei der Ausbildung, das Vertrauen des Rates, diese Anstellung, das war die Illusion, und es bleibt nur die Realität meiner Kindheit.

„Wenn einem jeden Tag aufs Neue zu verstehen gegeben wird, wie inkompetent und unerwünscht man ist, macht die Wortwahl auch keinen Unterschied mehr“, murmele ich, und frage mich, wieso ich nur hatte glauben können, daß es jemals anders werden würde.

Giles räuspert sich.  „Mir tut leid, wie die Dinge zwischen uns gelaufen sind.“

Mittlerweile habe ich es aufgegeben, ihn einschätzen zu wollen, oder überrascht zu sein, wenn er etwas Unerwartetes sagt, aber dieser Ausdruck von Mitgefühl erweckt in mir wieder das verzweifelte Bedürfnis, nach meiner Brille zu greifen, um sie zu polieren. Ich unterdrücke es; mir ist die leichte Grimasse, die Giles jedesmal zieht, wenn ich das tue, nur zu gegenwärtig, und ich will sie gerade jetzt nicht sehen, wo er zum erstenmal etwas anderes als das unnahbare Maß aller Dinge in Sunnydale ist.

„Wenn ich nur herausfinden könnte, was ich bloß falsch gemacht habe.“

Die Sympathie in Giles’ Augen macht einem Anflug von vertrauter Kälte Platz. Einen Moment lang habe ich den Eindruck, er will sich auf dem Fleck umdrehen und wieder gehen. Stattdessen seufzt er, geht zu dem Sessel, der neben meinem Bett steht, rückt ihn zurecht und setzt sich so, daß ich nicht mehr zu ihm aufschauen muß.

 „Die letzten Tage sind hart für Sie gewesen, Wes, mhhm?“

Jetzt sind wir schon bei Abkürzungen angelangt. Buffy hat mich Wes genannt, wenn sie in einigermaßen toleranter Stimmung war, und ich habe es ihr nicht verwiesen; in solchen Augenblicken dachte ich, sie würde beginnen, mich zu akzeptieren. Natürlich erwies sich das als Irrtum, und auch Giles ungefragte Benutzung einer Kurzform bedeutet gewiß nicht, daß er aufgehört hat, mich als überflüssig einzustufen, doch immerhin scheint er mich nicht mehr zu verabscheuen. Mit einem Mal wird mir bewußt, daß neben mir der einzige Mensch sitzt, der das ganze Ausmaß der Katastrophe versteht. Giles war ein Wächter, und seinem Selbstverständnis nach ist er es noch, auch wenn ihm der Rat diesen Titel entzogen hat. Er mag mich für schwach halten, doch offenbar endlich für wert genug, sich mit mir abzugeben. Im Gegenzug schulde ich ihm Ehrlichkeit, von Wächter zu Wächter. Und ein Schuldbekenntnis.

„Ich hatte zwei Jägerinnen in meiner Obhut und habe sie beide verloren. Buffy Gottseidank nur für den Rat...“

Zwei Jägerinnen. Es ist nicht einmalig in der Geschichte, aber so selten, daß man die Wächter, die mehr als eine Jägerin betreuten, an einer Hand abzählen kann. Keiner dieser  Wächter hat es fertig gebracht, sie beide zu verlieren, nein, dazu bedurfte es der unübertrefflichen Inkompetenz des Wesley Wyndham-Pryce. Giles weiß das so gut wie ich. Zwei Jägerinnen, die beide um ein Haar aneinander gestorben wären. Und ich scheue mich immer noch davor zurück, an Faith zu denken. Alles andere lieber als das, sogar das Debakel des gestrigen Kampfes.

„Und dann die Schlacht gegen Wilkins. Gott, Ich habe ich mich doch so unendlich bemüht, tapfer zu sein, die Erwartungen zu erfüllen, die man in mich setzt.“

Es sollte meine Wiedergutmachung sein. Meine Sühne. Stattdessen wurde es eine Farce.

„Vielleicht waren sie einfach zu hoch?“ fragt Giles leise.

„Nein, daran liegt es nicht“, gebe ich zurück und versuche, den Kopf zu schütteln, bis mich einige Nerven und meine Halskrause an das Ergebnis der Farce erinnern. Gestern um diese Zeit war ich durchaus darauf gefaßt, bald im Krankenhaus zu liegen, oder sogar tot zu sein, aber ich dachte, es würde mich mehr als einen einzigen Faustschlag kosten.

 „Alles in Ordnung?“

„Danke, es geht schon wieder. Der Rücken macht mir noch ziemlich  zu schaffen.“, erwidere ich abwesend, und versuche, zu verstehen, wieso ich selbst in diesem Punkt versagt habe.

 „Ich bin für diese Aufgabe ausgebildet worden, genau wie Sie. Die Theorie, die Waffen, die Kampftechniken, alles von Kindesbeinen an. Ich hätte die Dinge unter Kontrolle haben müssen. Statt dessen gerate ich beim Anblick des geringsten Dämons in solch heillose Panik, dass ich mich selbst nicht mehr erkenne.“

Ich war der beste Schütze meines Jahrgangs, Giles, will ich hinzufügen, sowohl mit der Armbrust als auch mit dem Revolver. Ich kann Ihnen die anatomischen Einzelheiten von Chaosdämonen nennen, und die Stellen, wo ein dreiköpfiger Lusus am verwundbarsten ist. Aber was zählt das alles, angesichts des Umstands, das die Wirklichkeit es noch jedesmal fertig gebracht hat, mich in ein nutzloses Bündel Furcht zu verwandeln?  Und hier habe ich noch nicht einmal die Möglichkeit, wenigstens meine theoretischen Kenntnisse von Nutzen sein zu lassen.

„Niemand macht sich auch nur im Entferntesten die Mühe mich nach meiner Meinung zu fragen, oder wenigstens in die gemeinsamen Pläne einzuweihen“, fahre ich fort, und denke an das gefährliche Spiel, durch das Faith dazu gebracht wurde, die Pläne des Bürgermeisters zu verraten. „Wozu auch mit diesem Trottel abgeben? Wir haben doch immer noch Giles."

"Wollen Sie Buffy dieses Verhalten ernsthaft verübeln, nachdem Sie von einem Debakel ins nächste gestolpert sind? Sie ist ein Teenager. Ich habe mir ihr Vertrauen und ihren Respekt auch nicht Kraft meines Amtes verdient, sondern durch die Dinge, die wir gemeinsam durchgestanden haben. Ein solches Band löst sich nicht einfach über Nacht."

"Ich habe immer gehofft, ich müßte nur geduldig genug mit ihr sein, und wir würden uns schon aneinander gewöhnen. Ob Sie es glauben, oder nicht, zwischendurch hatte ich tatsächlich das Gefühl, es würde besser mit uns laufen.“

Das größte Paradox meines Aufenthalts in Sunnydale: der Moment, in dem ich sicher war, endlich eine Chance bei Buffy zu haben, war der Moment, der schließlich zu ihrem Bruch mit dem Rat führte. Als ich sah, wie sie die Sorge um Angel innerlich zerfraß, dachte ich nicht mehr daran, wie töricht es war, einer Jägerin die Beziehung zu einem Vampir, der nur durch etwas Zigeunermagie daran gehindert wurde, über die Bevölkerung herzufallen, zu gestatten. Ich sah nur noch ein verzweifeltes Mädchen, das dabei war, ihren Liebsten zu verlieren, und ich bot sofort an, den Rat anzurufen. Als sie mir dafür dankte, waren jede Spur von Spott, Agressivität oder Ungeduld aus ihrer Stimme verschwunden, und ich war sicher, daß sich nun alles ändern würde. Von nun an würde ich nicht mehr ihr Feind oder der mühsam tolerierte Ersatz für ihren früheren Wächter sein, sondern ein neuer Freund. Das glaubte ich, bis der Rat und Buffy mich eines besseren belehrten.

„Und dann, als ich ihr das Gegengift für Angel nicht auf einem Silbertablett servieren  kann... Buffy hat mich in der Luft zerfetzt, als wäre es nicht die Entscheidung des Rates gewesen, sondern meine eigene. Als ob ich dazu im Stande wäre, ihr das Heilmittel vorzuenthalten, nur aus reiner Willkür und Boshaftigkeit.  Dabei habe ich mit meinem Anruf Kopf und Kragen riskiert. Sie hätten Quentin Travers am Telefon hören sollen, Giles. Angeschrieen hat er mich. Und was ernte ich dafür? Etwa ein Danke, Wes, dass Sie es wenigstens versucht haben ? Nein, nur einen kräftigen Fußtritt. Können Sie mir sagen, womit ich das verdiene?“ schließe ich heftig. Ohne, daß es mir auffiel, muß der Zorn in mich zurückgekrochen sein wie ein hartnäckiger Virus, den man nicht vertreiben kann. Wie das Gift, das den Vampir infizierte, das Gift, gegen das nur das Blut einer Jägerin hilft.

 „Faith.“, entgegnet Giles kalt.

Faith. Man verlasse sich auf Giles; er trifft mit einem Wort so gut wie mit dem Florett, das wir vor noch nicht einmal 48 Stunden benutzten, um zu üben. In dieser einen Silbe faßt sich alles zusammen, was mich in Sunnydale erdrückt an Schuld, und es ist nicht meine Panik im Angesicht meines ersten freien Dämons, oder mein Ungeschick im gestrigen Kampf. Es ist nicht Buffy, sondern Faith.

In Giles’ grünen Augen liegt inzwischen nicht mehr die geringste Spur von Sympathie, und doch nicht nur Kälte. Ich glaube, ich entdecke eine gewisse Genugtuung. So hat er ausgesehen, als er dem Bürgermeister das Florett in die Brust stieß. Doch wie bei dieser im Grunde überflüssigen Geste hat er sein Ziel gleichzeitig getroffen und verfehlt, denn so, wie er meine Schuld kennt,  kenne ich in diesem Punkt auch die seine, und ich weigere mich, weiterhin für ihn den Sündenbock zu spielen.

 „Tut mir leid Giles, aber so einfach mache ich es Ihnen nicht.“

„Was?“

„Glauben Sie mir, es vergeht keine Minute, in der ich nicht bedauere, was ich getan habe. Aber geben Sie mir bitte nicht die alleinige Schuld.“

 „Wem sonst?“ fragt Giles indigniert, und erinnert mich merkwürdigerweise an meinen Vater, als mein Sportlehrer ihn fragte, woher die Narben an meinem Rücken rührten. „Sie waren es, der Faith mit Gewalt nach England schiffen wollte, um sie ihrer gerechten Strafe zu überführen.“

„Ich wollte ihr helfen.“

„Als ob der Rat dazu in der Lage gewesen wäre. Faith hat einen Menschen getötet. Sie war krank, psychisch instabil. Man hätte sie nur in eine Gummizelle gesperrt, solange bis sie an ihrem eigenen Wahnsinn verreckt. Je schneller, desto besser. Wie naiv sind Sie nur, dass Sie das nicht begreifen wollen?“

„Vielleicht habe ich, was Faith anbelangt, ein größeres Vertrauen zum Rat gehabt, als zu Ihnen“, antworte ich, und muß jeden Fetzen Selbstbeherrschung aufbieten, über den ich noch verfüge, um ihn nicht anzuschreien. Ich denke immer wieder an jenen Tag zurück, so sehr ich es auch vermeiden will. Immer wieder gehe ich in Gedanken jeden einzelnen Schritt durch. Man kann nicht Wächter sein, ohne an höhere Mächte zu glauben, die unsere Geschichte lenken, und manchmal, wenn ich zu erschöpft bin, um mich noch gegen die Irrationalität der Bitte zu wehren, bete ich. Darum, daß mir dieser eine Tag zurückgegeben wird. Faith auf der Flucht, aber noch nicht außer Reichweite, in mehr als einem Sinn. Faith und Angel, der für mich zu diesem Zeitpunkt wenig mehr als eine bedrohliche Gestalt aus den Chroniken war, der ich nun endlich ein Gesicht verleihen konnte. Er hatte Giles und mir das Leben gerettet, deswegen nützte ich die Gelegenheit nicht, um ihn zu vernichten, wie es mir Travers nahe gelegt hatte, aber es gab für mich auch keinen Grund, ausgerechnet einem Vampir das seelische Wohl einer vor dem Abgrund stehenden Jägerin anzuvertrauen. Hätte er sie retten können? Ich weiß es nicht. Aber jedesmal, wenn ich mir vorstelle, diesen Tag noch einmal zu durchleben, diese Nacht, und alles anders zu machen, stocke ich, wenn meine Überlegungen an einer bestimmten Stelle angelangen. Das Gespräch zwischen Buffy und Giles, das ich zufällig mit anhörte, und durch das ich erfuhr, daß Faith nicht nur zu mir kein Vertrauen hatte, sondern genauso wenig zu Giles. Und mir war auch klar, weswegen.

 „Sollte ich denn etwa noch länger dabei zusehen, wie es immer weiter bergab mit ihr geht? Grundgütiger, Giles.  Sie hätten monatelang Zeit gehabt, sich  vernünftig um die  Kleine zu kümmern. Ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie ausreichend genug kennen zu  lernen, um die Katastrophe zu verhindern. Und was haben Sie getan? Die Hände in den Schoß gelegt, bis es  zu spät gewesen ist.“

Monate. Faith kam im Herbst nach Sunnydale. Ich traf im Frühling dort ein, nur knappe vierundzwanzig Stunden, ehe sie zum ersten Mal einen Menschen tötete.

„Wesley, ich warne Sie. Sie haben kein Recht ...-“

Die Zeit, in der er mich einschüchtern konnte, ist vorüber. Er hat mir zur Selbsterkenntnis verholfen, und es ist an der Zeit, den Gefallen zu erwidern.

„Doch. Denn ich bin dort gewesen, in Faiths Hotel, wenige Stunden nach unserer so unglücklich verlaufenen ersten Begegnung. Ich wollte sie fragen, ob sie mir nicht vielleicht doch eine Chance geben will.  Ihre Zimmertüre stand lang genug offen, um einen Blick zu werfen auf dieses....dieses unsägliche Rattenloch.“

Schäbig war noch ein zu freundliches Wort dafür. Die Wände waren dünn genug, daß ich, selbst nachdem mir Faith die Tür vor der Nase zugeschmettert hatte, die Geräusche aus den umliegenden Zimmern hören konnte. Zerbrechende Flaschen, Flüche, oh ja, und kopulierende Menschen. Und dort lebte sie nun schon seit ihrer Ankunft in Sunnydale, ein minderjähriges Mädchen, allein. Es bedurfte eines bösartigen Dämons in Gestalt eines Politikers mit Sinn für Familienwerten, um daran etwas zu ändern.

 „Sie hätten Faith da herausholen müssen, Giles. Ein Feldbett in der Bibliothek wäre ein besserer Ort für ein junges Mädchen gewesen, als dieses Zimmer. Und haben Sie etwas dagegen unternommen? Haben Sie Faith je in irgendeiner Form unterstützt, die über das bloße Abschlachten von Vampiren hinausgegangen wäre?“

Er starrt mich an, bestürzt und verwundbarer, als ich ihn je erlebt hatte. Dabei kann ich ihm doch nichts Neues erzählen, genauso, wie sein Vorwurf für mich nichts Neues war. Kann es sein, daß er es sich selbst nie eingestanden hat?

 „Wesley, Sie haben den Wahnsinn des Höllenschlundes am eigenen Leibe erfahren“, sagt er rauh. „Himmel, ich bin doch auch nur ein Mensch am Rande meiner Kraft.“

„Das ist keine Rechtfertigung. Zu Buffy und den anderen sind Sie wie ein Vater. Würde  ihr etwas zustoßen, so bräche das Ihnen das Herz. Begreifen Sie denn nicht? Sie sind jenseits aller emotionalen Distanz, haben sich für Buffy so unendlich vorausgabt, dass für die zweite Jägerin einfach ein Platz mehr blieb.“

Ein weiteres Paradox des Höllenschlundes: Faith, das sprichwörtliche Kind aus der Gosse, und ich, mit einer Ahnenkette, die ich bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückverfolgen kann, wenn ich will, haben am Ende mehr miteinander gemeinsam als mit jedem anderen Menschen hier. Ein Wächter zuviel. Eine Jägerin zuviel. Und eine Gruppe, die uns mehr als deutlich machte, daß wir überflüssig waren, daß für uns kein Platz mehr bei ihnen war. Faith mit Buffy vor Augen, der Jägerin, die sogar ihren eigenen prophezeiten Tod überlebt hatte. Ich mit Giles vor Augen, dem Wächter, der alles war, was ich nicht sein konnte. Und nun, in einer letzten Ironie des Schicksals, liegen wir beide nicht allzu weit voneinander entfernt, mit einem zerstörten Leben. Vielleicht wäre das die richtige Lösung, wenn mir dieser eine Tag zurückgegeben würde: selbst mit Faith zu reden. Es zumindest zu versuchen, noch einmal, ihr zu bekennen, daß meine Überlegenheit als Wächter Illusion war, daß wir beide gleich sind, daß ich an das verschüttete Gute in ihr glaube, genau wie ich mich trotz allem an die Hoffnung klammere, auch meine Existenz irgendwann zu rechtfertigen.

Aber Faith liegt im Koma, eingesperrt in das Gefängnis ihres eigenen Körpers, und Giles schaut mich immer noch so entgeistert an, als habe ich mich in ein Ungeheuer verwandelt. Er bewegt die Lippen, bringt jedoch keinen Ton hervor. Oh, ich bin der gegenseitigen  Vorwürfe müde. Es ist an der Zeit, ein Ende zu machen.

 „Giles, wenn ich wollte könnte ich Ihnen jetzt den selben Vortrag  halten, wie am Tag meiner Ankunft. Doch ich mache es nicht. Sie würden mir bestimmt genauso wenig zuhören wie damals.“

Stille kehrt ein, doch er macht keine Anstalten, sich zu erheben. Mein Blick wandert wieder zu Wand, und dann zum Fenster. Die Sonne ist nicht mehr Reichweite, nur noch der klare, blaue kalifornische Himmel, so eindeutig, so völlig frei von Grau. Ich frage mich gerade, ob Giles je daran gedacht hat, vor diesem Wetter zu kapitulieren und die im Außendienst vorgeschriebenen Anzüge gegen etwas Hiesiges umzutauschen, als er erneut beginnt, zu sprechen. Seine Stimme klingt immer noch rauh, aber gefaßter.

 „Falls Sie ein Schuldgeständnis von mir hören wollen, so kann ich Ihnen das nicht bieten. Sicher, Ich habe Regeln überschritten, Grenzen, die ich vielleicht niemals hätte übertreten dürfen, aber glauben Sie mir, das habe ich nicht leichtfertig getan. Es gab einen Grund.“

„Nennen Sie ihn.“

Vielleicht, denke ich, vielleicht ist es der Schlüssel, der rote Faden hinaus aus dem Labyrinth, in das wir uns alle verwickelt haben. Ein Grund, ein Schlüssel, und wenn ich mich das nächste Mal frage, was ich alles anders hätte tun können, dann weiß ich wenigstens, daß ich es nicht als einziger tue.

 „Dieser Ort hier. Das Leben in Sunnydale. Sie sind nicht lange genug in der Stadt, um zu wissen, was es aus einem macht. All dieser Irrsinn, all die Tragödien. Es mag verrückt für Sie klingen, Wesley, aber als ich hier eintraf, war ich nicht sehr viel anders als Sie. Ein stammelndes Zerrbild meiner selbst. Den ganzen Tag versteckt hinter Regeln und staubigen Büchern. Bloß keine Bindungen, keine Gefühle, die meine Funktion als Wächter beeinträchtigen konnten. Vielleicht konnte ich mich höchstens ein wenig besser als Sie daran erinnern, wie es sich anfühlt, ein Kind zu sein.“

Ein Kind. Das Bedürfnis, laut zu lachen, ergreift mich, doch ich bringe nur ein schwaches Lächeln zustande. Giles wird nie wissen, was er da gerade gesagt hat. Ich habe mich so schnell wie möglich bemüht, meiner Kindheit zu entwachsen, aber vergessen habe ich nicht den kleinsten Moment. Es wird mir nie gestattet sein, zu vergessen, wie es sich anfühlt, ein Kind zu sein, so sehr ich es mir auch wünsche.

Nicht alle Ungeheuer sind Dämonen oder Vampire, und die Hölle braucht nicht immer durch ein blutiges Ritual geöffnet werden. Machmal genügt der kleine Raum unter einer Treppe.

„Aber im irgendwann im Verlauf der Jahre kam der Punkt, an dem ich diesem Wahnsinn nicht mehr gewachsen war“, fährt Giles fort, und ich versuche, mich nur noch auf ihn zu konzentrierten. Der Mann spricht mit mir. Er offenbart mir etwas. Er hat es verdient, daß ich ihm meine volle Aufmerksamkeit schenke. „Jedenfalls nicht als Wächter, nur noch als Mensch. An dem ich Nähe zulassen musste, um all den Tod und das Leid weiterhin ertragen zu können. Wenn Sie mich für diese Schwäche verurteilen wollen, dann...“

Nähe zu lassen. Seine Aufzeichnungen fallen mir ein, die er mir nach meiner Ankunft in Sunnydale überreichte. In Travers’ Dossier stand zwar, daß Angel nach der Aufhebung seines Fluches etwa ein halbes Jahr lang Sunnydale terrorisierte, aber das, was in Giles’ Wächter-Tagebüchern sogar in den wenigen Sätzen, die er sich zu diesem Thema gestattete, sofort ins Auge sprang, fehlte: eines der Opfer aus jener Zeit war eine Frau gewesen, zu der er sich Nähe erlaubt hatte, aber nicht genug.

„Der Vorfall, der diese Einsicht bewirkte, ...Miss....Miss  Calendar, nicht?“

 „Jennifer Calendar. Angelus. Wer soll das sagen. Woher wissen Sie davon?“

„Nur durch das, was sich in Ihren Aufzeichnungen befindet“, versichere ich.  „Anbetracht der betreffenden Passagen hielt ich es nicht für angebracht, noch weitere Erkundigungen einzuziehen.“

Nicht über Miss Calendar. Ich habe auch nichts über sie in meinen eigenen, für den Rat bestimmten Berichten erwähnt. Jeder Mann, auch ein Wächter, sollte einen Teil seines Lebens haben, der nur ihm gehört, einen Teil, der heilig ist, unantastbar. Aber es hat andere Dinge gegeben, die ich recherchiert habe, und die mir im Zusammenhang mit Giles immer noch zu denken geben. Der Vampir, Angel. Nachdem ich selbst vor dem Problem stand, Wächter einer Jägerin zu sein, die eine Beziehung mit ihm unterhielt, las ich alles, was ich über Angelus finden konnte, und einige Beschreibungen aus den letzten 250 Jahren drehen einem den Magen herum. Durch die Aufzeichnungen weiß ich, daß Giles von Angelus gefoltert wurde, auch etwas, das sein Dossier unterschlug. Er ging nicht ins Detail, er vermerkte nur den Umstand an sich, doch die Details kann ich mir nach meiner Recherche vorstellen. Daß er derartiges überstand, ohne ein nervliches Wrack zu werden, ist ohnehin schon ein Wunder.

Wie um alles in der Welt bringt er es fertig, weiterhin mit Angels fortgesetzter Existenz zu leben?

 „Wesley, die Bindungen, die wir zu anderen Menschen entwickeln, machen uns nicht nur verletzlich, sie führen uns auch unserer größten Stärke. Vielleicht werden Sie das eines Tages begreifen. Vor Ihnen liegt doch noch Ihre gesamte Laufbahn.“

Das Gespräch hat Nerven bloßgelegt, nicht nur seine, sondern auch meine, und ich sehe keinen Grund mehr, diese Ehrlichkeit durch höfliche Lügen zu unterbrechen.

„Ach, tut sie das? Das wusste ich noch gar nicht, so wie sich die Dinge in jüngster Zeit für mich entwickelt haben.“

In vieler Beziehung mag ich ein Narr sein, jedoch nicht in dieser. Ein Wächter, der zwei Jägerinnen verliert, bleibt nicht lange ein Wächter. Der Bericht, den ich über den verhinderten Aufstieg vor dem Rat ablegen werde, wird aller Wahrscheinlichkeit nach mein letzter sein. Doch selbst, wenn ein Wunder geschieht, und ich nicht entlassen werde, kann von einer „Laufbahn“ trotzdem keine Rede mehr sein. Ich bin ein Wächter. Ich bin dafür ausgebildet, das Übernatürliche zu erforschen, wo nötig, zu bekämpfen, und über ein Geschöpf zu wachen, das selbst einmalig ist, sie zu leiten und ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Nun, in dieser Generation gibt es zwei solcher Geschöpfe, und ich habe sie beide verloren. Woraus soll meine Zukunft da schon noch bestehen?

 „Bitte entschuldigen Sie, i-ich wollte nicht...“ protestiert Giles und wirkt aufrichtig verlegen. Das tut mir leid. Er hat mir etwas sehr Persönliches offenbart, das mit Tod und Folter zusammenhängt, und ich jammere über meine verlorene Zukunft. Das hat er nicht verdient. Es war freundlich von ihm, hierher zu kommen, aber er hat mir meine Schutzhaut aus Erbitterung und Kränkung genommen, und nun habe ich nichts mehr, was mich vor einem würdelosen Zusammenbruch bewahrt.

„Keine Sorge, Ich werd’s überleben“, sage ich so nüchtern wie möglich, und kämpfe gegen das nur allzu vertraute Gefühl aufsteigender Panik. „Schlimm ist nur, dass ich diese Angelegenheit nicht einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen kann. Stattdessen liege ich wahrscheinlich noch  die gesamte nächste Woche hier fest. So viel Zeit zum Nachdenken jagt einem furchtbare Angst ein.“

Eine Woche allein hier, ohne Zugang zu Büchern, die eine Flucht sein könnten. Eine Woche voll solcher Stunden wie dieser, um sich mein Versagen vor Augen zu halten, und mir das Urteil des Rates vorzustellen. Nun, ich weiß, zumindest ein Mitglied wird nicht überrascht sein. Die dunkle Welle der Panik wird stärker und schließt mich ein. Wenn Giles hier noch lange den Samariter spielt, wird er wieder Zeuge werden, wie Wesley Wyndham-Pryce beweist, was für ein Nichts er ist, und der Gedanke ist mir unerträglich.

„Giles, wenn  Sie jetzt bitte endlich gehen würden. Ich weiß, Sie meinen es nur gut, aber...“

„Sicher?“

„Bitte.“

Er zögert, dann steht er auf. Ich kann die Tränen noch unterdrücken, bis sein gerader Rücken zur Tür hinaus verschwunden ist, doch als sie in ihr Schloß klickt, bricht jedes gesagte Wort noch einmal über mir zusammen, und ich kann mich nicht länger zurückhalten. Ich wende das Gesicht zum Fenster, und ich weine um das Verschwinden, um den Verlust, um die Unerreichbarkeit der kalifornischen Sonne.