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ANIMA CAPTA

Von Bimo

 

Das Licht an Bord des Taelon-Mutterschiffes ist grau und fremdartig. Es macht keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht, Trainingszyklus oder Ruhe. Wozu auch ? Die Taelons brauchen diese Unterscheidungen nicht. Sie stehen bereits an der Schwelle zwischen physischer Existenz und konzentrierter Energie,  ihre Körper funktionieren nach vollkommen anderen biologischen Prinzipien als unsere. Auch ihr Bewusstsein ist anders als das menschliche. Bei ihnen steht das einzelne Individuum nicht isoliert und für sich allein, sondern ist zugleich auch Bestandteil jenes  seelenumspannenden Netzwerkes, welches sie das große Gemeinwesen nennen.  Taelons  spüren einander, wissen um die Gegenwart und die Gefühle ihrer Artgenossen. Jetzt, immerzu, in jeder einzelnen Sekunde ihrer Existenz.

Die höhere Art ihrer Bewusstseinsebene macht es ihnen unmöglich, auf die gleiche Weise zu kämpfen, wie wir es tun. Tierisch, erbarmungslos, in wilder Raserei bis zum bitteren Ende. Solange, bis entweder der Gegner niedergestreckt  am Boden liegt, oder man selbst.

Es sind die Unterschiede unserer beiden Spezies, die bewirken, dass wir einander so sehr brauchen.  Nur zusammen bilden wir die perfekte Symbiose aus vorausschauenden, wohlwollenden Lenkern und  unermüdlicher Streitmacht. Unser beider Schicksale werden in der Schlacht gegen die Jaridians so unweigerlich miteinander verknüpft sein, wie im Mittelalter das Schicksal eines Ritters mit seinem Streitroß.  Alleine auf sich gestellt schwach und angreifbar, bedarf ein jeder  der speziellen Fähigkeiten des anderen, um dem mächtigen Gegner standhalten zu können. Um nicht unterzugehen im Dunkel der Nacht.

Ich bin stolz darauf, zu den Auserwählten zu gehören. Zu den wenigen, die das Implantations- und Trainingsprogramm hinter sich gebracht haben, ohne größeren Schaden zu nehmen. Meine Implantate haben mir geholfen, den unbändigen Haß, der mir eingeimpft worden ist, zu kontrollieren. Er lässt sich nun bündeln und so gezielt als Waffe einsetzen wie der Energie-Strahl eines Skrills. Der Zorn der durch meinen Adern rast, richtet sich nicht mehr blind gegen alles Leben, das nicht Taelon- Leben ist, nur noch gegen die Jaridians. Dieser Umstand gibt mir die Freiheit  zu selbständigem Denken. Durch meine Intelligenz, dadurch, dass ich mich einer Situation anpassen, sie abwägen und daraufhin meine eigenen Entscheidungen fällen kann, werde ich in der Lage sein, Taelons und Menschheit nur noch besser zu dienen. Selbst das Pferd des erfahrensten Ritters braucht ausreichend Zügelfreiheit, damit es auf holprigem Grund nicht durch einen falschen und aufgezwungenen Schritt ins Straucheln gerät.

Irgendetwas an dem Pferdebild ist falsch und seltsam. Ich begreife nicht, warum mein Verstand mit einer solchen Selbstverständlichkeit darauf zurück kommt,  als ob ich es schon einmal gehört hätte. Irgendwann, von irgendwem, in einem Zusammenhang, auf den ich mir nun beim besten Willen keinen Reim mehr machen kann.

Bereits seit Ende meiner Ausbildung leide  ich unter solch seltsamen Gefühlen von Déja Vu. Sie sind lästig, denn sie behindern die Klarheit meiner Gedanken,  lenken mich ab von meinem Ziel, der Verteidigung der Erde gegen die Jaridians. Zunächst hielt  ich  die Déja Vus für die unweigerlichen Vorboten des Zusammenbruches meiner Implantate. Fürchtete, dass ich, trotz allen überstandenen Prüfungen schließlich doch dazu verdammt wäre, den gleichen Weg zu beschreiten, wie die meisten meiner Mitbrüder. Ich habe sie sterben sehen. Beobachtete ihren Verfall zu leb- und nutzlosen Klumpen menschlichen Fleisches.

Zo’or lächelte nur, als ich ihm die Sorge über meinen Zustand schließlich anvertraute. Anstatt zornig zu werden, über die mangelnde Vollkommenheit  seines vielversprechensten Geschöpfes,  sah er mich bloß aufmerksam an, mit jenem durchbohrenden Ausdruck in den geweiteten, dunklen Pupillen, wie ihn nur Taelons und kleine Kinder haben.

Ich weiß nicht, was er in diesem Augenblick in meinem Gesicht gesehen hat, doch es war ihm genügend Anlaß  mir die Antworten auf meine Fragen zu offenbahren. Zumindest auf einen Teil davon. Es schien Zo’or wichtig, dass ich begreife, was ich bin. Dass ich verstehe, aus welchen Gründen ich zu Lazarus gemacht wurde.

Lazarus.

Der Symbolgehalt des Namens, den die Taelons mir gaben, ist eminent. Und vertraute ich ihnen nicht so instinktiv und bedingungslos wie ein liebendendes Kind seinen Eltern,  so könnte ich fast glauben, das diese Namensgebung aus reinem Spott geschah. Nur um ihren treuen Diener ein letztes mal zu verhöhnen.

Doch die Taelons sind gütig und weise. Die baldige Ankunft des Feindes treibt sie zur Eile und rechtfertigt  ihr Handeln. Ich kann sie unmöglich dafür verurteilen, dass sie im  Angesicht der Bedrohung nicht auf einen der fähigsten Menschen in ihren Diensten verzichten wollten,  nur weil seine biologische Hülle  zerstört und ohne jede Chance auf Heilung war. Also bemächtigten sie sich der Essenz seines Geistes  und transplantierten diese in einen anderen, kräftigen und gesunden Körper. Den Körper  jenes namenlosen Fremden, dessen Anlitz mir jeden Morgen vom Spiegel aus entgegenstarrt. 

Zo’or ist es gelungen, zwei zerbrochene Waffen  zu einer neuen, weitaus schlagkräftigeren zu verschmelzen und die geniale Einfachheit dieses Vorgehens lässt mich erschauern. Ich verstehe die Beweggründe und die Dringlichkeit von Zo’ors Tat. Sogar, warum  mir  die Taelons sämtliche Erinnerung daran nahmen, wer ich einmal gewesen bin.

Ich bin effektiver so. Stärker. Losgelöst von alten Loyalitäten und Gefühlen, alten Verpflichtungen  und Ängsten kann ich mich voll und  ganz dem alleinigen Zweck meines Daseins widmen. Dem Kampf gegen den gemeinsamen Feind.

Meine flüchtigen  Déja Vu Erlebnisse stellen nichts weiter dar, als das bedeutungslose Echo eines fremden Lebens. Ein eigentümliches Gefühl der Vertrautheit bestimmter Orte oder Personen. Gerade stark genug um gewisse Schlüsse auf jenen Mann zu ziehen, dessen Geist zu meinem geworden ist. 

Der umgekommene Beschützer des amerikanischen Companions.

Er muß es sein. Warum sonst sollte ich eine solch instinktive Nähe zu Da’an empfinden, obwohl wir beide uns  bis jetzt noch nie von Angesicht zu Angesicht begegnet sind? Warum sonst spuken durch meinen Verstand lose Bildfetzen von Marquette, der Shuttlepilotin? Warum fühle ich eine solch  elektrisierende Spannung zwischen mir und  Agent Sandoval?

Zo’or  bestätigte meine Vermutung weder, noch widersprach er mir. Er sagte, ich solle mich ausschließlich auf das hier und jetzt konzentrieren, auf meine Aufgabe. Nicht auf die Vergangenheit. Es gäbe für mich keinen Grund zur Sorge. Die Abstoßung eines Implantates kündigt sich anders an. Durch massive CVI-Schocks, komprimierte Erinnerungen, welche durch den Zusammenbruch der mentalen Blockaden  mit brachialer Gewalt über den  wehrlosen Implantanten hereinstürzen.

Obwohl ich hoffe, diesen Tag niemals zu erleben, übt der Gedanke eine abgründige Faszination auf mich aus.  Was würde aus mir ? Würde ich mit Einsetzen der Erinnerung für die wenigen mir dann noch verbleibenden Stunden mit einem mal wieder zu dem, der ich in meinem vorangegangenen Leben einmal gewesen bin? Oder bloß zu einer verwirrten Hybridgestalt, die nichts weiter kennt als Zorn und Schmerz ?

Ich weiß es nicht und bete, dass ich die Antwort auch niemals erfahren werde.

Ich lebe.

Ich bin stark.

Ich will kämpfen.

Mögest du in Frieden ruhen, William Boone, wer immer du auch gewesen sein magst.