André C. Green und Archie Ace

Das Tier

Disclaimer: "Akte-X" , Fox Mulder , Dana Scully etc. gehören Chris Carter, Fox Broadcasting und 1013 Productions. Wir haben sie ohne Erlaubnis verwendet.

Rating: Die Autoren sind der Meinung , daß die ganze Geschichte ein Rating von "PG" erhalten sollte.

Archivierung: Die Autoren haben nichts dagegen , wenn die Geschichte in das Archiv kommt (egal welches).

Zusammenfassung: Diese Geschichte handelt von einigen mysteriösen Mordfällen in und um Chicago. Dabei treffen Mulder und Scully auf einen fetten Captain, auf ein verrücktes Mädchen und auf das Militär (VORSICHT: Geschichte wird von Agent Fox Mulder, persönlich erzählt.).

Autoren: André C. Green und Archie Ace acgreen@usa.net

 

Prolog

Seit Anbeginn der Zeit hat sich ein Drang stark bei den Menschen fortgebildet: der Drang zu forschen und das Erforschte zu benutzen, um der Menschheit zu dienen - und sich einen Vorteil gegenüber den anderen zu schaffen. Viele Triebe hat der Mensch unter Kontrolle gebracht. Diesen nicht. Und er wird es auch nie. Solange es den Menschen gibt, wird er versuchen, den besten Lebensstandard für sich zu erreichen - es gibt nur wenige Ausnahmen. Irgendwann schaffte es der Mensch, in den Grundbausteinen des Lebens herum zu forschen: Den Genen. Er begann, das Leben nach seinen Vorstellungen zu 'verbessern'. Er begann, Gott zu spielen. Aber er wußte nicht, was er tat.

I

Chicago 24.12.94

Es ist 18 Uhr. Ein Weihnachtsmann, der schon etwas angetrunken ist, begibt sich gerade in seinen Zweizimmerkarton in einer Seitenstraße. Er öffnet den Karton und steckt sein wohlverdientes Geld in die Schuhe, um es vor anderen Pennern zu schützen. Früher hatte er das nie nötig gehabt. Er war ein Geschäftsmann gewesen. Angesehen und relativ wohlhabend. Dann kam die Scheidung und der Bankrott, wobei das eine die unmittelbar Folge des anderen war. Dann der Kampf um das Sorgerecht. Er hatte verloren.

"Scheiße", denkt er, "was soll's? Wer braucht schon Bälger und Schlampen? Und mit dieser Kleidung habe ich es diese Nacht wenigstens warm. Dieser Job als Weihnachtsmann war die beste Idee, die mir je eingefallen ist."

Gerade als er sich hinlegen will, vernimmt er ein Geräusch. Er erkennt es nicht sofort, aber nach einiger Zeit denkt er, daß es sich um das Rascheln eines Tieres, oder ähnlichem, handeln muß. Manchmal verirren sich Ratten aus der Kanalisation nach hier oben. Doch dies muß wohl ungleich größer sein als eine Ratte. Er steht auf, um sich das Tier aus der Nähe anzusehen und geht zur Ecke. Er versucht sich dem Tier dahinter nicht zu zeigen, indem er sie als Sichtschutz benutzt.

"Was ist das bloß für ein Tier, das sich um diese Zeit hier herumtreibt? Und vor allem: Warum ist es so laut?", denkt er sich, "Ausgerechnet jetzt, wo ich schlafen wollte." Plötzlich fällt eine Mülltonne um und schlägt auf den Boden auf.

FBI Headquarters, Washington DC
ein Tag später

Ich ließ mich in den Sessel meines Büros im Keller des FBI Headquarters fallen. Es war still im Gebäude. Wer arbeitete auch schon gerne am 1.Weihnachtstag? Mir machte das nichts aus. Mein Privatleben beschränkte sich auf das Durchsehen von alten Ausgaben des 'Einsamen Schützen' und Einschlafen vor dem Fernseher bei NHL oder Football Spielen.

Eigentlich war die Arbeit mein Privatleben.

Ich seufzte und biß erneut von meinem Thunfischsandwich ab. Ich hatte heute keine Zeit für ein Frühstück gehabt. Während ich kaute, nahm ich mir Zeit, einen flüchtigen Blick auf die Akte zu werfen, die sich auf meinem Schreibtisch ganz plötzlich vorfand. Ich verlor aber schnell das Interesse. Ein Mordfall. Etwas stinknormales. Irgendwie schien Skinner im Moment damit beschäftigt zu sein, mich zu Tode zu langweilen. Er hatte im Augenblick gute Erfolgsaussichten. Aber nichtsdestotrotz versuchte ich meinen Tag möglichst positiv zu gestalten, auch wenn mir das sehr schwer fiel.

Nachdem ich mich wieder einige Minuten über Skinner aufgeregt hatte, wurde ich - zu meinem Glück - von Scully unterbrochen, die ins Zimmer hereinkam.

"Guten Morgen, Mulder", sagte sie, aber ich warf ihr nur etwas, was sich so ähnlich wie "Ja, ja", anhörte an den Kopf.

Als hätte ich überhaupt nicht begriffen, daß sie ins Zimmer gekommen war, drehte ich mich verwundert um und schaute sie auch dementsprechend an. Hatte ich nicht eben noch irgend etwas zu ihr gesagt? Egal, das ist jetzt auch nicht mehr von Belang.

"Was machen Sie denn hier, Scully? Ich dachte Sie sind bei Freunden?"

"Ich habe es mir nach dem Abendessen anders überlegt. Das Brot war so hart wie Stein und die Kartoffeln sahen aus wie Holzkohlen."

"Na, das muß ja ein Festessen gewesen sein", sagte ich ironisch. Damit erntete ich aber nur einmal wieder diesen strafenden Blick von ihr, der mich schon immer an ihr genervt hatte.

"Ich habe von Skinner gehört, daß es mal wieder einen neuen Fall gibt?", fragte sie.

"Ja", sagte ich, "Der Wisch muß da irgendwo auf dem Tisch liegen." Ich deutete in die Richtung des Schreibtisches, der allerdings kaum noch als solcher zu erkennen war. Ich hatte mit der Zeit einen eigene Ordnung entwickelt, der ich konsequent nachging. Aber leider schien keiner außer mir sie zu durchschauen.

Mit einem Seufzen hob sie ein paar Akten an, durchflog sie und legte die meisten von ihnen zurück auf den Papierstapel. Eine behielt sie in der Hand und sah mich fragend an. Ich schloß daraus, daß sie eine Antwort wollte. Ich beugte mich vor und sah sie mir kurz an. Es war die Richtige, genau die, die ich mir vorhin angesehen hatte.

"Das ist sie", sagte ich. Sie sah sie sich kurz an und runzelte dann die Stirn, als sie zwei Flugtickets aus der Akte zog. Ich versuchte möglichst desinteressiert und unschuldig zugleich auszusehen.

"Wissen Sie Mulder, daß wir in zwei Stunden auf dem Flughafen sein müssen? Unser Flug nach Chicago geht um 13:25."

Ich konnte den Eindruck von Schadenfreude, den ich in ihren Gesicht las, nicht ganz ignorieren. In zwei Stunden? Nach Chicago? Warum zum Teufel wurden diese Leute nicht in Washington umgebracht?

Scully wartete immer noch auf eine Reaktion und so tat ich ihr den Gefallen und verdrehte in gespielter Verzweiflung die Augen.

"Am 1.Weihnachtstag in Chicago! Ich muß in einem früheren Leben etwas sehr Schlimmes getan haben."

"Haben Sie die Akte gelesen, Mulder?"

"Nein, Sie?"

Sie seufzte. "Warum gehen Sie nicht Ihr Zeug holen und wir treffen uns am Flughafen? Ich werde inzwischen diese Akte hier lesen." Sie hielt sie triumphierend hoch.

Ich trat auf die Tür zu, bevor sie es sich noch anders überlegte. In der Tür blieb ich doch noch einmal stehen.

"Sagen Sie , Scully, wie können Sie es nur mit einem wie mir aushalten? Sind ihre Verwanden nicht tausendmal besser als Spooky Mulder?"

Sie verdrehte die Augen. "Wenn Sie wüßten." Sie drehte sich wieder um und trat auf den Aktenschrank zu.

"Scully?" Sie drehte sich um, während ich breitgrinsend fortfuhr: "Sie waren schon immer meine Heldin."

Sie deutete mit dem Finger stumm auf die Tür und meine gute Laune war sofort wie verraucht. Die Geste erinnerte mich an Skinner. Dies würde ein langweiliger Tag werden.

II

13:20 Flughafen , Washington DC

Wir kamen am Flughafen an und Scully gab mir zu verstehen, mich doch endlich zu beeilen, damit wir unseren Flug nicht verpaßten. Ich aber in meiner (Weihnachts-)Laune ging in einem langsamen Trott hinter ihr her, schließlich war ich nicht darauf erpicht mit ihr nach Chicago zu fliegen. Aber irgendwie landete ich dann doch mit Scully im Flieger.

Sie öffnete die Akte, die sie mit in das Flugzeug genommen hatte, um sich schon einmal mit den Gegebenheiten in diesem Fall vertraut zu machen. Ich aber stellte lieber meinen Sitz nach hinten um ein wenig zu relaxen.

Plötzlich wurde ich von Scully hochgeschreckt, denn sie tippte mich wild an den Arm damit ich ihr endlich zuhörte.

"Mulder", sagte sie, "diese drei Fälle, die hier beschrieben sind haben etwas gemeinsam."

"Ja, und was soll das sein Scully?", fragte ich sie.

"Der Obduktionsbericht zeigt mir, daß in allen Körpern Spuren von Rauschmitteln gefunden wurden."

"Das ist ja auch kein Wunder", stieß ich ihr entgegen, um ihr mein Mißfallen über diesen Fall zu zeigen, "das waren alles Penner die umgebracht wurden. Die müssen sich Abends vollrieseln lassen, damit sie in der Nacht nicht die Kälte spüren, die in unserem Lande zur Zeit herrscht."

"Nein, nein, das meine ich nicht", sagte Scully, "Im Blut der Opfer fand man Spuren von Morphium sowie Opium."

"Na gut, dann haben sie halt etwas mehr, als nur ein paar Biere und einer Flasche Jack Daniels getrunken. Es wäre doch auch möglich, daß sie eine Verletzung hatten, die sie nicht von einem Arzt behandeln lassen wollten, weil sie keine Versicherung haben. Deshalb haben sie sich einige Schmerzmittel geholt und die geschluckt. Da sie vorher nicht beim Arzt waren, wußten sie auch nicht, wie sie die Medikamente dosieren sollen, und dann haben sie zu viel geschluckt und sind gestorben."

"Lesen Sie sich doch mal den Bericht vollständig durch, bevor Sie mit mir streiten."

"Entschuldigen Sie, Scully, ich wollte Sie nicht niedermachen."

"Zurück zum Fall," sagte Scully.

"Ich werde Ihnen mal zeigen, was man für Vorteile davon hat, wenn man sich den Bericht des Gerichtsmediziners durchliest. Hier zum Beispiel kann man die genaue Todesursache ablesen."

"Und, was steht dort?" fragte ich sie.

"Hier steht, daß die Opfer an übermäßigem Blutverlust starben, obwohl man dies nicht so genau sagen kann, denn die Opfer sind auseinandergerissen worden, ungefähr so, als hätte ein Tier versucht, sie aufzufressen."

"Das muß ja einen großen Hunger gehabt haben, wenn es gleich drei Menschen umbringt," sagte ich und natürlich erntete ich auch sofort wieder diesen strafenden Blick von Scully.

III

14:50 Ankunft Flughafen , Chicago

Ich hatte es tatsächlich noch geschafft, eine Viertelstunde zu schlafen. Ich erinnerte mich dunkel an Alpträume von einem jungen Mädchen und Tigern, aber so ganz genau konnte ich ihn mir nicht ins Gedächtnis zurückrufen.

Scully hatte meinen Koffer und ihre Reisetasche schon von der Ablage hinuntergehievt, als ich erwachte. Sie sah mich spöttisch an.

"Das ist typisch Mann: Erwacht erst, wenn die Arbeit mit den Koffern getan ist."

"Ach, Sie haben den Fall noch nicht gelöst? Dann kann ich ja noch eine Viertelstunde schlafen", erwiderte ich gähnend. Ohne weitere Worte drückte sie mir meinen Reisekoffer in die Hand und packte selbst ihre Reisetasche fester. Ich beeilte mich von meinen Sitz aufzustehen und ihr zum Ausgang zu folgen. Eine Stewardeß wünschte mir mit einem berufsmäßigem Lächeln einen guten Tag und den ganzen anderen üblichen Krams. Ich hatte nicht einmal Zeit, etwas zu entgegnen, denn ich mußte mich beeilen, um mit Scully Schritt halten zu können. Zielstrebig lief sie auf den Eingang des eigentlichen Merrill C. Meige Field Airports zu. Ich holte sie ein paar Meter vor den Glastüren ein und versuchte während des Gehens meinen Anzug zu ordnen. Ich gab es nach wenigen Sekunden auf. Dieser Anzug mußte wohl oder übel gebügelt oder verbrannt werden.

Scully öffnete eine der Türen mit der freien Hand und sah sich im Wartesaal um. Im Moment war dieser nicht besonders gut besucht. Große Fenster säumten die den Landebahnen gegenüberliegenden Wände und durch diese fiel grelles Sonnenlicht, das den Raum erfüllte. Daher konnte ich erst nur Schemen erkennen, aber eine von ihnen kam auf uns zu. Deutlich konnte ich ihn erst einige Schritte vor uns erkennen.

"Agent Scully und Agent Mulder?" Der Mann trug einen grauen Billiganzug, der verzweifelt versuchte, seine Körpermaße zusammen zuhalten. Sein Gesicht wurde von einem drei Tage Bart gesäumt, aus dem das brennende Ende einer Zigarette lugte. Die Hand, die er uns entgegen streckte, war beharrt wie sein Gesicht und mit einem Ring geschmückt, der um seinen linken Ringfinger geschnürt war. Dieser Mann war mir von Anfang an unsympathisch. Scully schüttelte seine Hand und der Mann fuhr fort.

"Mein Name ist Captain Ron Caphorn. Ich bin Ihnen vom Chief zugeteilt worden, um Ihnen bei Ihren Ermittlungen zur Seite zu stehen. Wie war Ihr Flug?"

Ich hatte keine Lust auf Small Talk und so ließ ich Scully reden.

"Gut. Aber es langte kaum, um zu schlafen." Sie warf mir einen kaum merklichen Seitenblick zu.

"Nun gut", sagte Caphorn, "Ich bringe Sie jetzt in ein Hotel in der Nähe des Chicago Cultural Center. Von dort aus haben Sie auch die Möglichkeit sich in Chicago umzusehen. Wir haben zum Beispiel das Art Institut of Chicago, oder auch das..."

"Danke, das reicht uns", sagte ich einfallend zu ihm, "Wir sind hier nicht zum Vergnügen, Captain. Es geht um drei Mordfälle bei denen es sich vielleicht um ein Raubtier, oder ähnliches handeln könnte."

"Sie vermuten etwas hinter der Sache? Ein Raubtier? Denken Sie, daß wir hier in Chicago so verrückt sind und ein wildes Tier mitten in der Stadt herumlaufen lassen?"

"Seien Sie nicht gleich so einfältig. Das ist doch nicht Ihre Stadt", sagte ich, um ihn ein wenig zu beruhigen.

"Nein, aber es ist mein Bezirk um den es in einem von den Mordfällen geht."

"Beruhigen Sie sich, meine Herren", sagte Scully, um den Streit zu schlichten. "Mulder, kommen Sie. Ich möchte jetzt in das Hotel fahren. Ich habe Kopfschmerzen vom Fliegen bekommen." Sie zog mich von Caphorn weg, damit ich ihm in meinem Übereifer nicht an die Kehle sprang.

IV

15:12 Hotel Saint Mari, Chicago

Caphorn hatte sich überwunden, uns mit sich zu nehmen. Anscheinend fiel ihm dies sehr schwer, was man an seiner Tonlage in den Gesprächen mit uns heraushören konnte. Aber diese Gefühle beruhten auf Gegenseitigkeit. Er erzählte uns einige Details über den Mord in seinem Bezirk, und davon, daß es heute wahrscheinlich noch schneien würde, wenn man dem Wetterbericht glauben kann. Er fügte aber auch noch hinzu, daß ihm die Menge an Schnee, die bis jetzt gefallen sei, schon reiche. Nachdem er uns bis vor die Tür des Hotels gefahren hatte stiegen wir aus, nahmen unsere Sachen und gingen in Richtung des Eingangs.

Caphorn sagte: "Wir sehen uns dann morgen früh im Büro. Bis dann."

"Hoffentlich nicht", murmelte ich und Caphorn fragte sofort nach: "Was haben Sie gesagt, Agent Mulder?"

"Ich sagte, daß ich es kaum erwarten kann, an dem Fall weiter zu arbeiten."

"Gut , auf Wiedersehen", sagte Caphorn und ich fügte so leise hinzu, daß er es nicht hören konnte: "Aber nicht so bald, wenn es geht."

09:15 am nächsten Morgen

Nachdem Scully und ich eine gewöhnliche Nacht durchlebt hatten, standen wir auf und gingen in das Restaurant gegenüber, um etwas zu essen. Danach begaben wir uns in das Gebäude nebenan, in dem sich eine Autovermietung befand. Ich zeigte meine FBI-Marke vor und die reizende Dame hinter dem Tresen ging gleich in den Nebenraum, um ein Formular zu holen.

"Was für einen Wagen hätten Sie denn gerne?"

"Einen Ford Escort bitte," sagte Scully.

"Scully, ich wußte ja gar nicht, daß Sie eine Ahnung von Autos haben."

"Habe ich auch nicht, aber dieser Wagen kostet den Steuerzahler weniger Geld, als alle anderen, die möglich wären."

Die Dame vom Tresen kam mit einem Formular in ihren Händen zurück.

"Bitte unterschreiben Sie dieses Formular hier." Sie deutete mit dem Finger auf eine gestrichelte Linie auf dem Papier.

10:00 Polizeihauptquartier für Gewaltverbrechen, Chicago

Nach dieser Eröffnung von Scully, hatte ich es vorgezogen, selbst zu fahren. Als wir aus dem Wagen ausstiegen, begann es gerade zu schneien. Wir betraten das Polizeihauptquartier und klopften unsere Mäntel ab, als auch Caphorn schon wieder vor uns stand. Dieser Mann weckte in mir die Assoziation einer Klette.

"Da sind Sie ja!" grinste er mit erschreckend guter Laune. Ich versuchte, ein gequältes Lächeln zusammen zu bringen.

"Ich werde in meinem Wagen fahren", fuhr er fort, "und Sie in dem Ihrigen."

Er quetschte sich an uns vorbei durch den schmalen Ausgang und ging zu seinem Wagen. Ich wollte Scully einen Blick zuwerfen, aber sie war schon auf dem Weg zurück zu unserem Auto. Manchmal ging mir ihr Eifer gehörig auf die Nerven.

Widerwillig folgte ich ihr und gab ihr sogar die Zündschlüssel, als sie fordernd ihre Hand ausstreckte. Ich stieg in der Beifahrerseite ein, ließ den Sicherheitsgurt einschnappen und sah hinaus in das Schneetreiben, das immer dichter geworden war.

Ich mußte an Samantha denken, und das haßte ich. Betrübt starrte ich in das winterliche Chicago und dachte an meine Schwester; langsam wendete sich mein Gesicht gen Himmel.

"Fröhliche Weihnachten," flüsterte ich.

"Ihnen auch, Mulder." Scully hatte nicht begriffen, wem die Worte wirklich gegolten hatten.

Ich konzentrierte mich auf unseren Weg, um meine Gedanken abzulenken. Wir fuhren dem Stadtzentrum entgegen und hielten erst nach einer guten halben Stunde. Caphorn stieg aus seinem Wagen und sah uns erwartungsvoll entgegen. Mit einem Seufzen folgte ich Scully, die natürlich vor mir ausgestiegen war. Caphorn führte uns in eine schmale Seitengasse, die mit gelben Absperrband von der eigentlichen Straße abgegrenzt war. Die Gasse war schmutzig und mit Unrat und Müll überseht. An einer der Ecken waren Kreidestriche auf den Boden gemalt, die meisten von ihnen unzusammenhängend und nicht zu erkennen. Ich wußte natürlich, was es mal gewesen war, aber die Vorstellung, daß dies einmal ein Mensch gewesen sein sollte, brachte mir eine gewisse Übelkeit. Die Theorie eines Raubtieres erschien mir immer annehmbarer.

Caphorn schritt genau darauf zu.

"Hier, das ist es." Er sah fast stolz aus.

"Waren Teile der Leichen nicht am Tatort zu finden?"

"Nur das Blut und ansonsten müßten Sie im Bericht nachsehen."

"Blut?" Ich sah ihn fragend an. Er deutete auf einen nahegelegenen Gully und ich verstand. Es war einfach abgelaufen. Wie auf einer Schlachtbank. Ich sah Scully fragend an. "Stand etwas darüber im Bericht? Ich meine, etwas über fehlende Leichenteile?"

"Ja, es wurde nicht genug Fleischmaße am Tatort gefunden."

"Wer weiß, ob der Täter, sofern es ein Mann ist, die Teile für irgend etwas benutzt. Es könnte ja sein, daß er eine Art Jeffrey Dahmer ist der seine Opfer aufißt, nachdem er sie getötet hat", nannte ich als mögliches Beispiel.

Scully sagte: "Es wäre wohl von Nutzen, Mulder, wenn Sie erstens ein bißchen mehr Ernst in diesen Fall stecken und zweitens denke ich, daß wir die umliegenden Häuser untersuchen sollten", wieder sah ich mich diesem doch so denunzierendem Blick entgegengestellt.

"Ich stimme Ihnen zu Scully," antwortete ich und gleich darauf gingen wir mit mehreren Mitarbeitern von Captain Caphorn (diesen Rang hatte er gar nicht verdient) in das Gebäude, das sich westlich des Tatortes befand.

Dieses Haus hob sich nicht sehr von den anderen in der Gegend ab. Es war alt und verkommen. Jeder, der auch nur ein bißchen Verstand und Geld hat, würde nicht im Traum daran denken, hier einzuziehen. Die Bewohner in den belegten Wohnungen sahen nicht viel besser aus, als das Haus selber (alt und verrottet), aber niemand hatte auch nur eine Winzigkeit vom Abend zuvor mitbekommen.

So entschlossen wir uns in das gegenüberliegende Haus zu gehen, um dort etwas zu erfahren, aber zu unserem Pech konnte man hier auch nichts finden, denn schon von außen sah man, daß das Gebäude leer stand. Doch plötzlich hörte einer der Polizisten ein Geräusch und der Rest der Gruppe wurde aufmerksam. Wir gingen zur Tür hin und zogen unsere Waffen.

Die Tür wurde aufgestoßen und zwei Polizisten stürmten hinein um die Lage zu prüfen. Sie sahen eine Gestalt hinter einem Pfeiler und versuchten sie, zum Aufgeben zu überreden, aber dem war nicht so. Die Gestalt, die man in der Dunkelheit, die hier herrschte, kaum sehen konnte, bewegte sich sehr schnell in nördliche Richtung, denn dort befand sich ein weiterer Ausgang. Gerade als die Gestalt durch die Tür verschwinden wollte, tauchte Caphorn in dem Türbogen auf. Von uns aus konnte man nur seinen Schatten sehen, welcher von der vor kurzer Zeit erschienene Sonne auf den Boden geworfen wurde. Caphorn packte die Gestalt beim Kragen und zog sie in unsere Richtung. Als er mit ihr bei uns ankam, konnten wir endlich das wahre Aussehen von ihr erkennen. Es war ein Mädchen, ca. 16 Jahre alt. Es war sehr hager und hatte alte zerrissene Kleider an. Ein typisches Mädchen, das von zu Hause ausgebrochen war, um die Wunder der Welt zu erleben, und das erste Wunder auf das sie traf war das Wunder des alleinigen Überlebens in einer Großstadt beim dem sie, wie es aussah, völlig versagt hatte.

Caphorn zog sie grob auf uns zu. "Vielleicht haben wir ja hier schon Ihre Mörderin."

Ich konnte ein Lächeln kaum unterdrücken. "Dieses Kind soll das getan haben?"

Caphorn wollte wohl etwas entgegnen, wurde dann aber Ziel von Scullys berühmten strafendem Blick. Ich grinste schadenfroh, wurde aber übergangslos wieder ernst, als ich mich dem Mädchen zuwandte.

"Wie heißt Du, Kleine?" Ich versuchte so freundlich wie möglich zu klingen. Sie antwortete aber nicht.

"Was wolltest Du denn hier?", fragte nun Scully.

"Marla...Marla sich verstecken tun!" Ich erschrak, als ich die Stimme des Mädchens vernahm. Sie war offensichtlich geistig behindert.

"Marla hat sich vor WAS versteckt?" Ich winkte schnell ab, als Caphorn etwas sagen wollte. Ich war mir sicher, daß er alles vermasseln würde.

Das Mädchen fing an sich umzusehen. Sie wurde nervös, Tränen schossen ihr in die Augen. Plötzlich fing sie an zu schreien: "Fische...Fische mit Klauen! Fische mit Zähnen!"

V

16:23 Saint Mari Hotel

Nachdem wir das Mädchen auf dem Revier gelassen hatten, wurde es einigen Verhören unterzogen. Bei den ersten hatten wir noch interessiert zugehört, aber je länger die Dauer der Verhöre wurde, um so mehr wiederholten sich die Fragen und Antworten. Sie hatte fast nichts von den Vorkommnissen am Abend zuvor mitbekommen, und so kamen wir zu dem Entschluß, daß wir von dem Mädchen keine neuen Informationen bekommen würden, auch wenn wir noch vier Stunden gewartet hätten.

Nachdem wir zu dieser Erkenntnis kamen fuhren wir zurück in unser Hotel, um noch einmal über die Vorkommnisse zu sprechen, die wir in den letzten Stunden hinter uns gelassen hatten.

"Also, Mulder, was halten Sie nun von diesem Fall?", fing Scully an.

"Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Eine Leiche, die aufgeschlitzt ist und deren Innereien entweder auf dem Boden lagen oder fehlten. Außerdem eine Zeugin, welche die Tat wahrscheinlich nicht gesehen hat, aber sofort, nachdem das Opfer schrie, an der Tatstelle stand und niemanden erblicken konnte. Des Weiteren hat niemand von den Nachbarn etwas gesehen, oder wollte es nicht sehen. Außerdem haben wir einen Täter, der sich offenbar Sekunden nach seiner Tat in Luft auflösen kann. Ich denke, daß wir keine Informationen an irgend jemanden weitergeben sollten."

"Mulder, Sie interpretieren wieder einmal mehr in die Indizien hinein, als wirklich drinnen steckt. Es gibt hundertprozentig eine rationale Erklärung dafür."

"Scully", ich versuchte ihren Standpunkt zu verstehen aber es gelang mir einfach nicht. "Sie wissen doch genau so gut wie ich, daß das hier nicht normaler Natur ist. Damit meine ich, daß es kein Mensch aber auch kein Tier ist, das diese Morde verübt. Wir sollten aber noch mehr Informationen über das Mädchen sammeln, vielleicht gibt es zwischen ihr und den Morden eine Verbindung."

"Endlich kommen Sie mit etwas, was Hand und Fuß hat, Mulder." Scully schien sehr erfreut über diesen Vorschlag. "Wir sollten Unterlagen in der hiesigen psychiatrischen Anstalt anfordern."

"Wie wär's, wenn wir gleich hinfahren würden? Sie wissen", fügte ich mit einem Lächeln hinzu, "einige Leute raten mir schon seit Jahren zu so einem Besuch."

Scully reagierte, wie immer, gar nicht auf meinen Auflockerungsversuch. Jedenfalls nicht verbal. Aber ihr Blick sprach Bände.

Ich schluckte jedweden weiteren Scherz hinunter. Irgendwann mußte ich diese Frau mal fragen, was ihre Definition von Humor war. Ich nahm es mir fest vor.

Wir griffen uns unsere Mäntel und stiegen sobald wie möglich in den Escort und machten uns auf den Weg.

Nachdem es zwischenzeitlich aufgehört hatte, fing es jetzt wieder an zu schneien, so daß wir noch einmal in unsere Hotelzimmer zurückkehren mußten, um etwas geeigneteres anzuziehen.

17:58 Psychiatrische Heilanstalt Chicago

Auf der Fahrt zu der Heilanstalt, von der wir uns erhofften, einige Informationen über das Mädchen zu bekommen, wurden die Schneewehen immer stärker, so daß wir schon einige Probleme mit dem Wagen hatten. Als wir dann schließlich vor der besagten Heilanstalt hielten, fuhr mir ein Schauer durch den Rücken. Das Haus vor dem wir parkten, es war mehr ein Schloß, so groß war es, war das einzige Haus in einer Umgebung von ca. 20 Meilen. Außerdem war es in einer trostlosen Farbe gestrichen, die selbst jedem Clown die Lustigkeit verderben würde.

Wir traten durch ein großen Eingang in der Nordseite ein und hatten vor uns erst einmal ein Eisentor mit Pförtnerhäuschen. Der Pförtner, ein stattlicher Mann Mitte 30, der aussah, als könnte er einem Elefantenbullen das Fürchten lehren, starrte uns durch das Gitter seines Häuschen an. Er nuschelte etwas wie "Waswollnsie" und wartete auf eine Antwort. Scully zog ihren Ausweis.

"Ich bin Special Agent Dana Scully, das ist Special Agent Fox Mulder. Wir brauchen ein paar Auskünfte über eine Patientin, die hier stationiert war." Sie hatte schnell gesprochen und in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Selbst ich wäre ihr im ersten Moment ohne weiteres Überlegen gefolgt. Aber dieser Kerl schien strikte Anweisungen zu haben.

"Da muß ich erst einmal bei Dr. Stevensen nachfragen." Er führte einen Telefonhörer zu seinem Ohr und sprach ohne zu wählen, oder zu warten los.

"Hier Jack. Gib mir bitte Dr. Stevensen, Emmelie," eine kurze Pause, dann: "Ja? Richtig , Dr. Stevensen. Vom Federal Bureau of Investigation. Zwei Agenten. Ich weiß es nicht. Natürlich. Na schön, Doktor." Er legte den Hörer auf eine Gabel, die wir nicht sehen, aber vom Geräusch her wahrnehmen konnten. Jack sah uns lange und fast durchdringend an. "Sie können hineingehen, Ihre Waffen müssen aber hierbleiben - Vorschrift."

Wir legten unsere Waffen bei ihm ab und er öffnete das Tor für uns. Ein hohes, in den Ohren schmerzendes Geräusch ertönte. Ich verzog das Gesicht und wartete, bis das Tor sich gänzlich geöffnet hatte. Selbst jetzt konnten wir es nur hintereinander durchschreiten. Es bestand vornehmlich aus Eisenstangen, die einen Durchmesser von gut 5 cm haben mußten. Gekrönt wurde das Tor von mehreren spitz zulaufenden Stangen und Stacheldraht. Hinter uns schloß sich das Tor wieder und ich mußte mich beherrschen, um nicht eine Bemerkung über Ähnlichkeiten zu einem KZ von mir zu geben.

Wir gingen einen Parkweg entlang, dem Koloß von Gebäude entgegen. Der Parkweg war aus Stein, der Park selber war mit kurzem Gras bewachsen. Keine Bäume. Keine Büsche. In der Eingangstür stand Dr. Stevensen. Sie mußte es sein. Wenn man sich einmal eine Vorstellung von einer Person gemacht hat und wenn diese dann so vollständig erfüllt werden, dann ist man sich schnell sicher, daß man recht hat.

Die Frau trug einen weißen Kittel, die Haare zu einem Knopf nach hinten gebunden und leicht angegraut. Ihre Haltung verriet Befehlsgewohnheit. Sie war das Klischee einer 'Irrenärztin'. Sie kam ohne Umschweife zur Sache, als wir sie erreicht hatten.

"Was wollen Sie hier?", fragte sie.

Ich versuchte es von Anfang an zu verhindern, daß die Doktorin mich unterdrücken könne, so daß ich es nicht schaffen würde, eine Antwort aus ihr oder jemand anderem herauszubekommen.

"Wir wollen nur einige Informationen von Ihnen und vielleicht auch von Ihren Angestellten. Denken Sie daran wir ermitteln hier in einem Mordfall, aber lassen Sie uns doch in Ihr Büro gehen. Ihre Angestellten müssen ja nicht sofort alles wissen."

"Um welchen Patienten handelt es sich denn?"

"Wir wissen nicht genau, wer die Person ist, aber sie hat uns einen Namen genannt. Sie sagte zu uns, daß sie Marla heißen würde, aber ich glaube, daß dies nicht der vollständige Name ist, oder nennen Sie Ihre Patienten nur beim Vornamen?"

Als ich den Namen Marla erwähnte, fackelten die Augen der Doktorin, wie von einem unsichtbaren Streichholz auf und sie hörte fortan genau zu, was ich sagte.

"Wo ist sie?", fragte sie mich, in einem etwas befehlenden Ton.

"Ich denke wir sollten jetzt in Ihr Büro gehen, damit wir dort alles weitere besprechen können", entgegnete ich ihr, damit wir nicht die ganze Zeit draußen, in der Kälte stehen müßten, nur um vielleicht einige nutzlose Informationen zu bekommen, während wir es im Haus viel wärmer und gemütlicher haben könnten.

Die Doktorin gab ein unentschlossenes Grunzen von sich, was aber soviel wie 'folgen Sie mir' bedeuten sollte. Als wir in ihrem Büro ankamen bat sie uns Platz zu nehmen. Wir setzten uns auf die Stühle, die sich direkt vor dem Schreibtische befanden. Die Stühle waren nicht gerade das, was man von Stühlen in einer Nervenklinik erwartet. Sie waren sehr billig gehalten. Wahrscheinlich bekam Dr. Stevensen wenige Subventionen vom Staat. So simpel wie die Stühle war das ganze Büro der Doktorin gehalten. Es war in weißer Farbe gestrichen, aber irgendwie lud es nicht gerade ein. Außerdem war es sehr steril für eine psychiatrische Heilanstalt. Nicht so beruhigend wie es normalerweise auf die Patienten wirken sollte. Das vorherrschende Möbelstück war ein wuchtiger Sekretär, der sich im hinteren Teil des Raumes befand und die Hälfte des Selbigen einnahm. Er war aus Holz und sehr massiv. Außerdem besaß er einige Einkerbungen an der Seite, die zur Doktorin hin zeigte, was ich aber auch nur durch meine schnelle Auffassungsgabe wahrnehmen konnte, die ich auf der FBI-Akademie antrainiert hatte.

"Sagen Sie mir endlich, wo sich Marla befindet!", keifte uns die Doktorin entgegen.

"Warum haben Sie ein so großes Interesse an ihr?", fragte Scully die nun auch deutlicher an dem Fall interessiert zu sein schien.

"Sie ist eine ganz besondere Patientin für mich. Ich verfolge ihren Fall schon seit Jahren und habe deshalb ein gesondertes Interesse an ihr."

"Geben Sie mir bitte die Krankenblätter der Patientin. Ich bin Ärztin und genauso befugt, wie Sie diesen Fall zu untersuchen", redete ihr Scully in den Satz hinein.

"Gut ich gebe Ihnen die Krankenblätter, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie etwas von Bedeutung darin finden werden."

Die Doktorin ging für einige Minuten in das Nebenzimmer, um die Krankenblätter zu holen. In der Zwischenzeit unterhielten wir uns über die Doktorin und ihre möglichen Vorgehensweisen bei den Patienten, die wohl anders als bei normalen Ärzten vollzogen wurden. Nach einiger Zeit kehrte die Doktorin wieder in das Zimmer zurück und übergab eine Mappe an Scully. Scully öffnete diese sofort und überzeugte sich zuerst von der Echtheit des Dokuments und dann von dem Inhalt des Berichtes.

Auf einmal stutzte Scully, als sie einen Teil des Krankenblattes las. Dann stellte sie eine Frage mit der ich irgendwie schon gerechnet hatte: "Warum verabreichten Sie der Patientin diese enorme Menge an Beruhigungsmitteln?"

Ich hatte mir schon so etwas gedacht, denn die Beruhigungsmittel, die der Polizeiarzt ihr auf dem Revier gab, nachdem sie den Mörder gesehen hatte, hatten im Prinzip keine Wirkung auf sie ausgeübt.

"Ich denke nicht, daß Sie den Zusammenhang verstehen würden, wenn ich Ihnen versuchen würde das Problem zu erklären", meinte die Doktorin und winkte ab.

"Wie ich schon vorhin gesagt habe Dr. Stevensen, ich bin ärztlich ausgebildet und verstehe sehr wohl etwas von dem, was Sie hier mit ihren Patienten machen", gab ihr Scully als Gegenargument.

"Gut, in Ordnung, ich sage es Ihnen. Ich mußte ihr diese hohe Dosis geben, weil die Patientin sehr depressiv war und man die ganze Zeit damit rechnen mußte, daß sie sich selbst verletzen könnte."

"Danke für Ihre Bemühungen, Dr. Stevensen," sagte Scully und drehte sich zu mir um. "Kommen Sie, Mulder. Wir gehen jetzt, ich habe genug gesehen. Auf Wiedersehen, Dr. Stevensen."

"Auf Wiedersehen, Agent Scully. Auf Wiedersehen, Agent Mulder."

In der Zeit, in der wir uns in Richtung des Ausgangstores bewegten, sagte Scully zu mir: "In einem Punkt hatten Sie recht, Mulder - irgend etwas ist hier anormal. Mit anderen Worten: hier geht es nicht mit rechten Dingen zu."

Wir gingen an Jack dem Pförtner vorbei, ließen uns von ihm unsere Waffen aushändigen und stiegen, draußen angekommen, in unseren Ford Escort ein.

VI

Der Weg zurück wurde zur Tortur. Der Schneefall hatte zugenommen und man konnte nun kaum noch die Hand vor den Augen sehen. Als wir schließlich zurück waren, lag Chicago unter einer dichten Schneedecke begraben. Es sah wirklich sehr weihnachtlich aus. Und wir hatten eine Mordserie aufzuklären.

Mir gingen einfach Marla's Worte nicht mehr aus dem Kopf: 'Fisch...Fisch mit Klauen! Fisch mit Zähnen!' Was zum Teufel hatte sie mit diesen Worten gemeint? Es war mir klar, daß ich durch bloßes Nachdenken niemals zum Ziel kommen würde. Ich mußte handeln. Gleichzeitig war ich mir aber fast sicher, daß wir bei den anderen Tatorten auch nichts finden würden. Irgendwie fühlte ich mich hilflos. Um nicht total in meinen Gedanken zu ertrinken, und die Straße im Auge zu behalten, fing ich ein Gespräch an.

"Scully?"

"Was ist, Mulder?" Sie war dabei, die Papiere durchzusehen.

"Was steht denn da so über unsere Marla ?"

"Marla Grand, geboren am 3.9.1980 in Chicago, Illinois, Mutter Helen, geborene Lealand, geboren am 14.2.1959 in Chicago, Illinois, Vater unbekannt..." Sie runzelte die Stirn.

"Scully, was wenn nun doch ein Fischwesen die Morde begangen hat?"

"Dann werde ich meinem Goldfisch in Zukunft mit mehr Respekt entgegen treten."

Ich parkte den Wagen vor dem Hotel. Als wir ausstiegen, war die Schneedecke schon mehrere Zentimeter hoch. Wir betraten das Hotel und gingen auf unsere Zimmer, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft. Am nächsten Tag würden wir uns die anderen Mordfälle näher betrachten. Aber in mir war der Forscher geweckt, und der wußte eines schon ganz genau: dieser Fall war bei weitem nicht so langweilig, wie es den Anschein gehabt hatte.

26.12.94
09:00 Saint Mari Hotel

Wir waren früh aufgestanden, um den Tag in seiner ganzen Länge nutzen zu können. Wir wollten heute nicht so einen Wirbel wie gestern machen, denn der hatte uns sehr ausgelaugt und wir waren völlig erschöpft in unsere Betten gefallen.

Nachdem sich jeder frisch gemacht und wir gefrühstückt hatten, stand ich nun in Scullys Zimmer und wartete darauf, daß sie zur Abreise fertig aus dem Nebenzimmer kommen würde. Es klingelte das Telefon. Ich nahm den Hörer ab und antwortete: "Hier Agent Mulder FBI."

Am anderen Ende der Leitung war ein Freund von mir. Ein Mitarbeiter des ‚Einsamen Schützen'. Ich sprach mit ihm einige Minuten und legte danach den Hörer, mit einer erfreuten Miene, auf die Gabel.

"Wer war am Telefon, Mulder, und warum sind Sie so erfreut?"

"Das war gerade einer meiner Freunde."

"Doch nicht etwa vom 'Einsamen Schützen'?"

"Doch, doch. Genau der. Ich hatte gestern bei ihnen angerufen und sie darum gebeten, doch einmal den Vater von unserer Marla genauer zu untersuchen."

"Damit wollen Sie wohl sagen, daß ich mit einem Computer nicht umgehen kann?"

"Nein, nein, Scully, ich habe nicht im entferntesten daran gedacht Sie zu verärgern."

"Na wenn das so ist. Was hat Ihr Freund denn nun über ihn herausgefunden?"

"Michael Grand geboren am 11.2.54 in Chicago, Illinois. Lernte Helen Shaw schon in der Schule kenne. Beide verlieben sich und heiraten nach der High School. Arbeitete nach der High School in einem Imbiß. Ging danach zur Army, um seinen Wehrdienst zu leisten. Begann am 20.8.74 seinen Job in der Army (ab jetzt war er Berufssoldat). Am 15.12.93 verschwindet er spurlos aus der Militärbasis in Chicago, in der er bis jetzt gearbeitet hatte. Einige Wochen vor seinem Verschwinden ging in seiner Basis das Gerücht um, daß er sich freiwillig für einem Geheimprojekt der US Army gemeldet hatte."

"Das ist ja alles sehr interessant", meinte Scully, "Aber es bringt uns nicht sehr viel weiter."

"Ja, da haben Sie recht, Scully. Fahren wir jetzt am besten ins Polizeihauptquartier und versuchen etwas über den zweiten Mordfall heraus zu bekommen."

Wir setzten uns in den Wagen. Ich startete ihn und los ging es.

Einige Minuten später kamen wir im Polizeihauptquartier an. Ich öffneten die Tür und hielt sie für Scully auf, die dicht hinter mir ging.

"Oh wie höflich von Ihnen, Mulder", sie sah mich sehr ironisch an.

"Sehr witzig, Scully", Ich grinste ihr genervt entgegen.

Vor uns war der große Raum des Polizeipräsidiums, der voller war, als das letzte mal. Wir gingen auf den Tisch von Caphorn zu, um mit ihm über den zweiten Mordfall zu sprechen und die Unterlagen über den Mord zu bekommen. Caphorn war nicht anwesend, aber der Hilfsmarshall hatte uns wiedererkannt. Er kam auf uns zu.

"Guten Tag, Agent Scully , guten Tag, Agent Mulder. Captain Caphorn ist im Moment nicht da."

"Das sehen wir", sagte ich ihm mit einem mürrischen Gesicht.

"Logisch. Er hat mir aber gesagt, daß er spätestens in einer halben Stunde wieder hier sein wird und das war vor zwanzig Minuten."

"Folglich müßte er in zehn Minuten wieder anwesend sein."

"Genau, Agent Scully."

"Wir werden uns hier hinsetzen und auf ihn warten", sagte ich zu ihm.

"Gut , ich werde dem Captain sofort Bescheid geben, wenn er kommt, daß er zu Ihnen gehen soll."

Wir bedankten uns noch bei ihm und setzten uns auf die leeren Stühle in der Ecke des Zimmers. Nach ungefähr einer Viertelstunde kam Caphorn endlich wieder zurück. Er gesellte sich sofort zu uns. Anscheinend war sein Laufbursche sehr gehorsam, anders konnte ich mir diese Schnelligkeit nicht erklären.

"Ah, die Agents Scully und Mulder! Wie geht es Ihnen? Sind Sie schon weiter gekommen?"

"Nein", sagte ich, "Aber wir möchten uns jetzt auch noch die anderen Tatorte und die Berichte über die Morde ansehen, damit wir uns ein Bild machen können, wie der Täter vorgeht und ob es irgendwelche Übereinstimmung gibt, die uns vielleicht Aufschlüsse geben wie viele Täter es sind", obwohl ich immer noch davon überzeugt war, daß es nur ein Täter war, der vielleicht ein Geheimnis in sich barg.

"Könnten wir jetzt den Ordner mit den Unterlagen über den zweiten Mord haben?", lautete die Frage, die ich ihm gestellt hatte.

"Die können Sie haben, aber sie wird Ihnen wahrscheinlich auch nicht mehr weiterhelfen bei Ihren Ermittlungen."

Caphorn ging in einen Hinterraum, um im Aktenschrank nach der Akte des zweiten Mordes nachzusehen. Nach zwei Minuten kam er zurück und gab Scully die Akte. Sie warf einen flüchtigen Blick hinein und sagte danach: "Sie haben doch sicherlich nichts dagegen, daß wir diese Akte erst einmal mitnehmen, damit wir sie studieren können. Sie wissen schon: Wegen der möglichen Übereinstimmungen, die es zwischen den drei Morden geben könnte."

"Ich habe nichts dagegen, Scully, aber bitte geben Sie acht, daß die Akte nicht verschwindet, das habe ich nämlich nicht gerne. Wenn etwas aus meinen Besitz verschwindet und nicht auffindbar ist, werde ich sehr schnell wütend und schlage um mich."

"Ich versichere Ihnen Caphorn, daß Ihrer heißgeliebten Akte nichts geschieht", sagte ich, um ihn ein bißchen zu beruhigen, damit er uns endlich gehen ließ.

Plötzlich kam ein Officer zu Caphorns Schreibtisch.

"Captain Caphorn?"

Caphorn drehte sich um und ging zu dem Officer hin.

"Ja , was ist denn jetzt schon wieder?" Caphorn sprach sehr genervt, als ob er sich nicht gut mit dem Officer verstehen würde.

Der Officer flüsterte zu Caphorn leise: "Ich muß Sie einen Moment mal unter zwei Augen sprechen Captain."

"Gut , ich komme sofort in Ihr Büro." Caphorn drehte sich wieder zu uns um und sagte: "Bitte warten Sie hier einen Moment, ich bin gleich wieder zurück. Dann werde ich Ihnen noch einiges über den zweiten Mordfall erzählen."

Er verschwand mit dem Officer im Nebenzimmer. Nach 5 Minuten kam er alleine wieder zurück.

"Ich wollte Ihnen zwar einiges über die Akte erzählen, aber ich bekam von meinem Officer eben diesen Umschlag. Bitte öffnen Sie ihn und erzählen Sie mir , was Sie davon halten."

Ich nahm den Umschlag an mich und öffnete ihn. Ich stutzte ein wenig, als ich den Brief las, der in dem Umschlag war. Danach gab ich ihn an Scully, die schon darauf gewartet hatte, ihn in die Finger zu bekommen. Scully las den Brief laut vor, damit wir ihn noch einmal Revue passieren lassen konnten: "Hier ist der Mann, der die drei Menschen umgebracht hat. Versuchen Sie nicht den Brief nach Fingerabdrücken zu untersuchen. Sie werden keine finden. Ich verlange von Ihnen eine Million Dollar in kleinen, nicht numerierten, nicht abgezählten, nicht markierten Scheinen. Im Gegenzug werden die Menschen in und um Chicago wieder in Ruhe schlafen können. Ich werde heute Vormittag bei Ihnen anrufen und Ihnen weitere Informationen geben." Scully legte den Brief wieder zusammen und steckte ihn in den Umschlag zurück.

"Was werden wir machen?", fragte sie uns.

"Wir werden auf den Anruf warten und ihn uns anhören", antwortete ich ihr.

Zum zweitausendsten Male drehte ich mich von der Glastür, die zu Caphorns Büro führte, weg und ging in die entgegengesetzte Richtung. Ich wurde daraus nicht schlau. Hatte ich mich so getäuscht? Ich war mir sicher, daß es mehr als ein 'gewöhnlicher' Mordfall war, daß hier irgend etwas vor sich ging. Aber was war mit diesem Erpresser? Er war wahrscheinlich nur auf den fahrenden Zug aufgesprungen, um sich ein paar Vorteile zu verschaffen. Diese Erkenntnis änderte allerdings nichts an der Tatsache, daß wir uns eine Vorgehensweise überlegen mußten. Das Dumme war nur: Ich war der einzige, der die Echtheit des Mörders anzweifelte.

Das Telefon auf Caphorns Schreibtisch läutete.

Caphorn warf seine Füße von seinem Schreibtisch und richtete sich auf, die Hand nur wenige Zentimeter vom Hörer entfernt. Er sah uns erwartend an und wir folgten der unausgesprochenen Aufforderung und griffen nach den beiden Knopfohrhörern, die angeschlossen worden waren.

"Wenigstens können Sie jetzt aufhören, Mulden in den Teppich zu laufen, Mulder." Ich verzog das Gesicht, um Scully zu zeigen, was ich von ihrem Scherz hielt und stopfte mir den kleinen Lautsprecher in meine rechte Ohrmuschel.

Caphorn nahm ab.

"Chicago Police Departement, Captain Caphorn."

"Haben Sie meinen Anruf erwartet?"

"Haben Sie uns den Brief geschickt?"

"Richtig. Nehmen Sie besser alles ernst, was in ihm steht." Die Stimme klang unangenehm und irgendwie hysterisch.

"Hören Sie, eine Million Dollar... das kann unmöglich Ihr Ernst sein!"

"Warum nicht?" Die Stimme klang ehrlich interessiert.

Caphorn war sichtlich überrascht. "Nun... das ist eine Menge Kies. Dazu brauchen wir Zeit." Er sah durch die einen Spalt breit geöffnete Tür in den Flur hinaus. Es wurde ihm ein Signal gegeben. Sie brauchten noch eine Minute, um den Anrufer zu lokalisieren.

"Hören Sie mir zu, Caphorn. Legen Sie das Geld übermorgen in den Müllcontainer am Bahnhof. Keine Tricks, sonst gibt es weitere Tote."

Auf einmal konnte ich mich nicht mehr beherrschen. Ich riß Caphorn den Hörer aus der Hand. Er sah mich überrascht an, wagte aber zumindest im Moment nicht, mich zurecht zu weisen.

"Hier spricht Special Agent Fox Mulder. Ich bin vom FBI."

Es wurde ruhig am anderen Ende der Leitung. Fast hatte ich Angst, er hätte aufgelegt. Dann meldete die Stimme sich wieder.

"Sie haben Ihre Anweisungen."

"Nein, warten Sie! Warum sollten wir Ihnen glauben?"

Ein Klicken ertönte, dann ein Freizeichen. Er hatte aufgelegt.

Ich ließ den Hörer auf die Gabel sinken. Caphorn fuhr auf und riß die Tür zum Gang auf.

"Roger, hast Du ihn?"

"Nein, es fehlten ein paar Sekunden."

Caphorn fuhr wieder herum. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet.

"Herzlichen Glückwunsch. Da merkt man doch, wie das FBI uns gemeinen Polizisten noch zeigen kann, was wirkliches, überlegtes Handeln ist."

Ich beachtete ihn kaum. Obwohl ich keine Anhaltspunkte durch das Gespräch bekommen hatte, war ich plötzlich sicher, mich nicht getäuscht zu haben. Der Kerl war genauso wenig der Täter, wie ich oder Scully. Ich sagte es Caphorn.

"Natürlich," höhnte er. "Wahrscheinlich hat er Ihnen das in einem persönlichen Brief geschrieben. Ich habe mich nach Ihnen erkundigt, Agent Spooky. Es geht Ihnen hier wohl alles zu glatt, huh?"

Ich hatte die Nase voll. Mit einer entschlossenen Bewegung wandte ich mich um und stürmte aus dem Büro heraus, Scully hinter mir her eilend. Sie holte mich erst außerhalb des Gebäudes ein.

"Mulder, bleiben Sie stehen!"

Ich folgte widerwillig ihren Worten. "Was soll das, Scully?"

"Was das soll?! Was sollte das vorhin? Mulder, Sie haben eine Ermittlung behindert!"

"Lassen Sie mich in Frieden , Scully. Der Mann war es nicht."

"Woher wissen Sie das?"

"Ich...ich habe es gefühlt als..."

Sie schnitt mir mit einer wütenden Bewegung das Wort ab. "Hat Caphorn recht?"

"Ich weiß nicht, was Sie meinen."

"Geht es Ihnen zu einfach? Sind Sie enttäuscht, daß nichts Übernatürliches am Werke ist?" Ihre Worte trafen mich wohl härter, als sie eigentlich vorgehabt hatte. Sie fuhr sich in einer fahrigen Bewegung durchs Haar und gab einen resignierten Seufzer von sich. "Lassen Sie uns von hier verschwinden Mulder. Ich habe keine Lust Caphorn noch einmal zu begegnen, bevor er sich beruhigt hat."

Wir gingen still zum Wagen zurück und stiegen ein. Wir fuhren zurück in unser Hotel, weil Scully dort ihren Laptop hatte, mit dem sie sich gegebenenfalls in den Hauptcomputer des FBIs einklinken könnte, um Informationen über einzelne Personen zu bekommen. Genau so, wie sie es gestern getan hatte, um etwas über Dr. Stevensen zu erfahren. Was uns aber auch nicht weiterhalf, denn es stand nichts in ihrer Akte, was von Bedeutung war (Geburtsdatum, Eltern, Lebensstandard, Geschwister etc.). Wir sahen uns die Akte des zweiten Mordfalls an, aber es kam dabei kaum etwas heraus. Auch hier wurde das Opfer förmlich in Stücke gerissen. Die Leber, eine Niere und noch einige weitere inneren Organe wurde entfernt und im Umkreis des Tatortes auch nicht wiedergefunden. Hier gab es keine Zeugin, aber die Polizei war schnell zur Stelle, so daß man den Täter noch schemenhaft sehen konnte. Die beiden Polizisten, die den Täter gesehen hatten sagten aus, daß er aussah wie ein Reptil. Sie sahen nach einer Verfolgungsjagd, gerade noch wie er in der Kanalisation verschwand.

"Scully. Haben Sie das hier gesehen?"

"Was meinen Sie, Mulder, ich habe die Akte vorhin nur überflogen und mir keine Einzelheiten gemerkt."

"Gut", sagte ich. "Dann werde ich Ihnen jetzt einmal diese Seite der Akte geben und Sie sehen sie sich ganz genau an."

Scully nahm die Seite, die ich ihr gab und sah sie sich an. "Was soll denn nun so wichtig hieran sein, Mulder?" , fragte sie mich.

"Lesen Sie mir einmal die Stelle vor, an der das Verschwinden des Täters beschrieben wird."

"Wir kamen um 00:17 am Tatort an und Willis und ich stiegen aus dem Wagen. Wir sahen eine Gestalt in den Wald flüchten. Ich lief ihr hinterher und Willis sah sich das Opfer an. Er kam mir nach einiger Zeit nach, weil er für das Opfer nichts mehr tun konnte. Wir zogen unsere Waffen, denn der Täter war anscheinend sehr gewalttätig und wir wollten nicht seine nächsten Opfer sein. Wir verfolgten ihn bis zur Hauptstraße, wo er einen Gullydeckel zerschlug und in die Kanalisation flüchtete. Wir stiegen hinterher, konnten ihn aber nicht mehr ausfindig machen. Wahrscheinlich kannte er sich in der Kanalisation aus, denn am Tatort war auch ein Gully, in den er aber nicht flüchten konnte , weil wir ihn ausfindig gemacht hatten."

"Und was ist jetzt das hochwichtige an dieser Flucht?", fragte Scully.

"Haben Sie nicht auch den Gully am Tatort des dritten Mordes gesehen? Der Polizist hatte recht, der Täter kennt sich in der Kanalisation aus."

"Mulder, der Gullydeckel war zerschlagen. Wie kann das nur passiert sein?", sagte sie laut denkend und redete dann weiter: "Aber die Möglichkeit, daß er sich in der Kanalisation auskennt ist sehr wahrscheinlich, und was halten Sie überhaupt von der Beschreibung, daß er wie ein Reptil aussah, Mulder?"

"Ich weiß nicht , aber diese Mutationen die sie beschreiben scheinen mir nur möglich durch eine Genmanipulation, das kann keine normaler Mensch sein", sagte ich zu Scully. "Scully, ich schlage vor, daß wir mal etwas über das Kanalisationssystem hier in der Gegend in Erfahrung bringen, denn ich denke, daß die zerschlagenen Gullys etwas mit unserem Fall zu tun haben."

Wir standen auf und Scully legte die Akte in ihren Aktenkoffer, der mit einem Codeschloß versehen war und schloß ihn im Zimmersafe ein. Danach gingen wir zum Ford, stiegen ein und fuhren in Richtung Stadtverwaltung.

VII

11:43 Stadtverwaltung Chicago

Wir parkten unseren Wagen auf dem völlig überfüllten Parkplatz vor der Stadtverwaltung. Dann stiegen wir aus, gingen durch den Eingang und waren sofort in einen Strom von Menschen geraten, aus dem man sich nur sehr schwer befreien konnte, aber wir schafften es. Wir gingen durch eine Tür und platzten aus Versehen in eine Konferenz herein. Frank Williams - den Namen sollten wir erst viel später erfahren - unterhielt sich gerade mit einem Mitarbeiter der Stadtverwaltung über ein Gitter in der Kanalisation, oder etwas ähnlichem, wir konnten es nicht genau hören. Nachdem wir von dem Mitarbeiter herausgebeten wurden, schlossen wir die Tür und warteten draußen darauf, daß er uns wieder zu sich hinein bitten würde. Nach 10 Minuten öffnete sich die Tür, Frank Williams kam heraus und wir konnten eintreten.

Wir zeigten unsere Marken und ich sagte: "Guten Tag. Ich bin Special-Agent Mulder und das ist Special-Agent Scully. Wir ermitteln in einem Mordfall. Der Täter flüchtet höchstwahrscheinlich immer durch die Kanalisation und nun wollten wir Sie mal fragen, ob wir uns die Kanalisationskarten ansehen können."

"Ja das können sie", antwortete er, "Ich muß sie nur mal kurz suchen gehen. Bin gleich wieder zurück." Mit diesen Worten stand er auf und ging zu einem Aktenschrank, der sich gleich neben der Tür befand. Er öffnete ihn und holte sechs Karten heraus. Dann nahm er sie mit und breitete sie auf seinem Schreibtisch aus. "Wonach suchen Sie eigentlich?", fragte er uns.

"So ganz wissen wir das auch nicht", antwortete ich, "Wir suchen nur etwas, was uns zeigen könnte, wohin der Täter geflüchtet ist."

Nachdem wir zwanzig Minuten damit verbracht hatten, auf die Karten zu starren, fragte Scully plötzlich: "Können Sie mir sagen, wohin dieser Tunnel führt?" Sie zeigte auf einen Teil der Kanalisation, der am Rande einer Karte zu Ende war. Man fand auch keinen Hinweis wohin er führte.

"Ach der , der ist die Verbindung für andere Kleinstädte um Chicago herum. Damit auch deren Kanalisation sich nicht überfüllt."

"Schade", meinte Scully "es hätte ja sein können, daß es dort etwas Interessantes gibt, aber das erscheint mir jetzt hoffnungslos."

"Da haben Sie völlig recht, Agent Scully," meinte der Mann von der Stadtverwaltung. Aber mir fiel dabei auf, wie ihm offensichtlich ein Stein vom Herz fiel, als es darauf hinauslief, daß wir nicht weiterforschen würden.

Nachdem wir davon überzeugt waren, daß wir hier nicht weiterkamen, öffneten wir die Tür und gingen. Wir stiegen in den Wagen ein, als Scully mich fragte: "Was machen wir jetzt Mulder? Wir sind kein Stück weiter gekommen."

"Ich weiß nicht. Vielleicht sollten wir mal etwas über den Mann in Erfahrung bringen, der vor uns im Zimmer der Stadtverwaltung war."

Wir fuhren zurück in das Hotel und gingen in Scullys Zimmer. Sie holte den Laptop hervor und verband ihn mittels eines Kabels mit dem Telefonkasten. Sie schaltete ihn an und dann nahm sie die Verbindung mit dem FBI Hauptcomputer auf. Als nächstes gaben wir die Beschreibung des Mannes in den Laptop ein und - nichts passierte, außer daß der Computer einige Bilder von Personen ausgab, die nichts mit dem Mann zu tun hatten, den wir suchten. Das machte uns natürlich sehr stutzig und wir konnten einfach nicht von dem Gedanken lassen, daß wir da auf etwas gestoßen waren, von dem wir eigentlich nichts erfahren sollten. Also mußten wir ein wenig vor Ort nachforschen und was blieb uns anders übrig, als der einzige Hinweis, den wir bis jetzt hatten - die Kanalisation.

VIII

Scully und ich fuhren mit unserem Escort schon eine geraume Zeit. Die Sonne kam nach langer Zeit auch einmal wieder zum Vorschein und damit schmolz der Schnee, der in den letzten Tagen gefallen war. Leider fanden wir nichts heraus, was uns weiterhelfen konnte, außer daß es um Chicago herum sehr starke Waldschäden gibt, und daß die Bulls heute Abend wieder ein Spiel haben (alles strömte in die Richtung der Innenstadt von Chicago). Nachdem wir sechs Stunden um die Stelle gefahren waren, wo die Kanalisation auf der Karte endete, entschlossen wir uns zurück ins Hotel zu fahren. Ich drehte den Wagen und wir fuhren Richtung Chicago.

Plötzlich hielt ich mit dem Wagen ruckartig an und sah in die Richtung eines Waldweges neben der Hauptstraße. Scully war völlig überrascht und fragte mich sofort: "Mulder, was sollte das den jetzt schon wieder? Ich hätte mir beinahe etwas gebrochen, bei Ihrem waghalsigem Manöver."

"Sehen Sie das nicht, Scully , da drüben auf dem Waldweg da?"

"Nein, Mulder, ich kann bei Weitem nichts sehen, was mein Interesse so intensiv geweckt hätte, wie bei Ihnen."

"Das sehen wir uns einmal an," sagte ich und hielt auf den Waldweg zu. Ich stieg sofort aus, als ich den Wagen zum Stehen gebracht hatte. Scully ließ sich Zeit, denn sie hatte ja nicht gesehen, was ich entdeckt hatte. Ich zeigte auf eine Reifenspur, die in der nassen Erde des Weges deutlich zu erkennen war und fragte: "Scully, sehen Sie diese Spur?"

"Natürlich sehe ich die Reifenspur, ich bin ja nicht blind!" Sofort hatte ich wieder diesen strafenden Blick von Scully zu ertragen.

"Aber fällt Ihnen nichts an ihr auf, Scully?"

"Doch", sagte sie. "Die muß von einem Laster oder schwerbeladenem Fahrzeug stammen."

"Richtig, und dieses Fahrzeug hatte Spezialreifen, wie die Fahrzeuge bei der Army. Die haben das selbe Profil an ihren Reifen, damit die Laster einen besseren Halt auf der Fahrbahn haben."

"Sie meinen doch nicht, daß die Army einige Meilen außerhalb von Chicago eine geheime Basis hat?"

"Doch genau das meine ich, Scully. Und die werden wir jetzt ausfindig machen und hineinfahren, um zu erfahren, was hier vor sich geht."

"Mulder, das geht doch nicht. Wir können nicht einfach in eine geheime Armybasis gehen und Nachforschungen betreiben."

"Das macht doch keinen Unterschied, Scully, wenn sie uns nichts verraten wollen, dann tun sie das auch nicht. Schlimmstenfalls werden sie uns bitten die Basis zu verlassen. Was soll denn schon groß passieren? Die werden uns schon nicht den Kopf abreißen."

Diesen Worten hatte Scully nichts entgegen zu setzen. Wir waren gerade zwei Meilen gefahren, als wir mit dem Wagen im Schlamm des Waldweges stecken blieben.

"Sehen Sie, Mulder," fauchte Scully mich an. "Ich sagte doch, daß es eine schlechte Idee ist, zu dieser Basis zu fahren."

"Nun werden Sie nicht gleich hysterisch, Scully. Rückschläge gibt es in jeder guten Ermittlung."

Nachdem wir 10 Minuten vergeblich gehofft hatten aus dem Schlamm zu kommen und schon aufgeben wollten , schaffte ich es doch den Wagen aus dem Schlamm zu manövrieren. Wir fuhren den Waldweg weiter und nach fünf endlos langen Minuten kamen wir an einer Militärbasis an. Da uns die Wächter schon bemerkt hatten, blieb uns nichts anderes übrig, als in die Basis hinein zu fahren.

Gleich am Eingangstor gab es die ersten Probleme. Als wen sollten wir uns ausgeben? Aber Scully und ich beschlossen, nach einer kurzen Absprache, die Wahrheit zu sagen. (na ja, nicht ganz die Wahrheit).

"Guten Morgen. Was ist Ihr Begehr?", fragte uns der Soldat der das Eingangstor bewachte.

"Ich bin Special-Agent Mulder, dies neben mir ist Special-Agent Scully." Wir zeigten ihm unsere Marken vor. "Wir ermitteln in einem Mordfall und haben Grund zur Annahme, daß es jemand aus ihrem Lager ist. Könnten wir bitte mit dem Ranghöchsten ihrer Basis sprechen?"

"Da muß ich erst einmal nachfragen", er ging zu einem Telefon in seinem kleinen Häuschen und wählte eine Nummer, die wir aber nicht erkennen konnten.

Nach ca. vier Minuten, in denen er wohl einiges zu hören bekam, legte er den Hörer nieder und kam wieder zu uns zurück.

"Es ist gebilligt worden. Bitte folgen Sie dieser Straße, die Zweite rechts und dann die Vierte noch einmal links. Sie müßten an einem Haus ankommen, welches kleiner ist, als die anderen. Dort wird sie Colonel McGuire in Empfang nehmen, ach ja Sie müssen diese Plaketten die ganze Zeit offen bei sich tragen, wenn sie sich auf diesem Gelände befinden sollten."

"Danke, und einen schönen Tag noch," sagte ich zu dem Soldaten. Ich drehte den Schlüssel im Zündschloß des Wagens wieder um und wir fuhren weiter.

Nachdem wir einige Häuser hinter uns gelassen hatten, sagte ich zu Scully: "Scully, hier ist etwas faul."

"Wieso denken Sie das, Mulder?", warf mir Scully entgegen.

"Sehen Sie all die Sicherheitsposten? Einige von ihnen sind schwer bewaffnet. Und andere liegen so, daß man sie kaum sehen kann. Des weiteren sind an einigen Häusern sehr große Warnschilder. Wer weiß, was die hier testen oder herstellen?"

"Da haben Sie recht, Mulder. Ich denke, wir sollten uns hier sehr vorsichtig bewegen."

Endlich kamen wir an dem beschriebenen Haus an, und eine ältere Person, in einer Uniform der US Army gekleidet, wartete anscheinend schon auf uns. Er hatte wohl schon an einer Menge von Operationen teilgenommen. Anders konnte man sich die Vielzahl der Orden, die an seiner Uniform hingen, nicht erklären. Der Mann hatte schon graue Haare, eine Narbe im Gesicht und sah aus, als würde er innerhalb der nächsten Stunden einen wichtigen Termin haben, denn er konnte seine Nervosität kaum verbergen.

"Guten Tag", mit diesen Worten empfing er uns gleich vor seinem Hauptgebäude.

"Guten Tag. Ich bin Agent..."

"Ich weiß, wer Sie sind, Agent Mulder. Und dies muß dann wohl auch Agent Scully sein. Ich bin Colonel McGuire."

"Angenehm. Ich denke, daß Sie auch wissen, warum wir hier sind, wenn Sie schon wissen wie wir heißen."

"Nein, davon bin ich nicht unterrichtet worden," er klang, als würde er sich genau überlegen, was er uns sagt.

"Aber es wurde Ihnen doch..."

"Mulder!", Scully sagte dieses Wort in einem Ton, den ich schon in- und auswendig kannte. Es war dieser "Hören Sie lieber auf, Mulder, sonst bekommen wir noch Schwierigkeiten" Ton.

"Wir sind hier wegen eines Mordfalles", sagte ich schnell, damit ihm nicht auffiel, daß Scully mich schon wieder unterdrückte (die Soldaten der Army sehen so etwas nicht gerne ,wenn ein Mann von einer Frau in gewisser Weise unterdrückt wird). "Genauer gesagt, sind wir wegen drei Mordfällen hier, die sich in und um Chicago herum vorgetragen haben und es wäre möglich, daß der Täter aus ihrer Basis stammt."

"Das ist überhaupt nicht möglich, Agent Mulder. Aus meiner Basis ist niemand so mutig bzw. verrückt, daß er nachts aus der Basis verschwindet, ohne von mir eine Erlaubnis bekommen zu haben." Auf einmal klang er sehr gereizt, als hätten wir ihn an einem wunden Punkt getroffen. "Ich schlage vor, daß ich Ihnen unsere Basis etwas genauer zeige, damit Sie eine Vorstellung von dem bekommen, zu was ein richtiger Soldat so alles imstande ist."

Er führte uns von jetzt an ungefähr eine Dreiviertelstunde durch die Basis, nur um uns zu zeigen, daß ihm seine Soldaten voll und ganz gehorchten. Als wir aber in die Nähe der Forschungsabteilung kamen, hatte er es plötzlich eilig von uns los zu kommen: "Ich habe noch einen wichtigen Termin zu tätigen. Und Sie wissen ja, daß ein Soldat nie zu einem Termin zu spät kommt, also ich empfehle mich." Mit diesen Worten schaffte er es doch tatsächlich, sich von uns zu lösen und uns im Gang stehen zu lassen.

Was sollten wir nun tun? Aber dann kam mir die Idee. Schließlich hatte er es sehr eilig, von uns weg zu kommen und ich wollte mich nun einmal versichern wieso. Also gingen wir um die Ecke zur Forschungsabteilung. Aber wir konnten nicht einmal einen Schritt in die Abteilung setzen, denn die wurde von zwei riesigen Bodybuildingschränken bewacht und die ließen uns nicht herein.

"Hier dürfen Sie nicht rein. Dies ist eine abgesperrte Abteilung, in die nur autorisierte Personen Zutritt haben", damit kreuzten sie die Gewehre vor unseren Augen. Sie waren fest entschlossen, uns nicht in diese Abteilung zu lassen.

"Aber wir sind beide Special-Agents des FBIs. Ich denke schon, daß wir dazu autorisiert sind."

"Schauen Sie doch einmal Agent..."

"Mulder."

"Agent Mulder. Sie tragen diese weißen Plaketten, auf denen Visitor steht. Damit haben Sie eigentlich zu kaum einer Abteilung Zutritt, wenn sich nicht gerade eine autorisierte Person bei Ihnen befindet."

"Gut", sagte Scully, "Dann können wir auch nicht von Ihnen verlangen, daß Sie uns in diese Abteilung herein lassen. Kommen Sie Mulder wir gehen. Mulder," wieder sah mich dieses, doch so zärtliche Gesicht sehr verärgert an.

"Ich denke es ist jetzt an der Zeit, daß wir gehen, Mulder. Wir müssen noch einige Besorgungen machen, nicht?" Sie sah mich mit einem Blick an, der mich überzeugen sollte hinauszugehen, damit die Wachen nichts davon merkten, daß sie sich dort mit mir unterhalten möchte.

Als wir draußen ankamen brach Scully ihr Schweigen und sagte: "Mulder, wir sollten uns nicht länger auf diesem Gelände aufhalten."

"Wie meinen Sie das, Scully?"

"Haben Sie das denn nicht bemerkt, Mulder? Hier sind wir anscheinend nicht erwünscht. Alle Soldaten sehen uns an, als ob wir etwas auf die Schliche gekommen sind, von dem wir nichts erfahren sollten. Ich denke, daß wir in Gefahr sind, wenn wir uns hier noch länger aufhalten."

"Sie haben recht, Scully, hier ist etwas faul. Verschwinden wir von hier, so schnell wir können. Wo haben wir den Wagen abgestellt?"

"Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, Mulder. Ich weiß beim besten Willen nicht, wo wir hier sind und wo der Wagen steht. Fragen wir doch einen der Soldaten."

"Das ist glaube ich ist gar nicht so leicht , ich sehe keinen mehr. Wo sind die denn alle hin?"

"Gute Frage, Mulder , ich habe keine Ahnung. Könnte es sein, daß jetzt Essenszeit ist?"

"Nein, Scully. erstens müßten dann noch Wachen auf den Wachtürmen stehen, um die Basis zu bewachen und zweitens ist es jetzt fünf Uhr, da stehen keine Mahlzeiten aus."

"na ja, auf alle Fälle müssen wir jetzt zurück in unser Hotel fahren. Ich möchte nämlich nicht bis heute Nacht den Wagen suchen."

Und so gingen wir dann los, um unseren Wagen zu suchen. Die Straßen in der Militärbasis waren wie leergefegt. Es war kein Soldat zu sehen und ich fragte mich die ganze Zeit, wo sie sich den aufhalten könnten und vor allem , was sie alle zusammen machten? Nach einer halben Stunde fanden wir endlich unseren Wagen und konnte nun auch in unser Hotel fahren.

Ich hatte noch nie ein so unbeständiges Wetter wie in den letzten Tagen erlebt, denn jetzt fing es schon wieder an zu schneien und diesmal sogar sehr stark.

IX

Wir kamen um 19 Uhr 23 nach einer mühevollen Fahrt im Hotel an, machten uns etwas frisch und gingen etwas essen. Das Restaurant des Hotels hatte wirklich sehr gute Speisen auf seiner Karte, die sich nicht nur gut anhörten, sowie auch gut aussahen, sondern sie schmeckten auch noch vorzüglich. So hatte man wenigstens die Möglichkeit, nach einem langen Arbeitstag beim Essen etwas auszuspannen und zu relaxen. Ich bestellte mir ein T-Bone Steak , obwohl Scully alles versuchte, um mich von diesem Vorhaben ab zu bringen. Sie versuchte mir die ganze Zeit einzureden, daß es nicht sehr gesund sei. Sie schaffte es auch fast. Schließlich schmeckt einem ein T-Bone Steak nicht so gut, wenn einem vorher erzählt wird welchen qualvollen Weg das Fleisch hinter sich hat. Aber ich blieb hart und als das Essen kam konnte mich nichts mehr halten. Scully hatte sich einen gemischten Salat bestellt. Wie immer aß sie nur vegetarisch, da sie alles Essen verabscheut was einmal gelebt hat und jetzt tot auf dem Teller liegen könnte.

Nach dem Essen gingen wir auf unsere Zimmer und verabschiedeten uns, um zu schlafen. Wir hatten uns noch keine großen Pläne gemacht für den nächsten Morgen, da sowieso kaum ein Mensch ansprechbar sein würde. Warum? Das ist doch ganz logisch. Gewinnen die Bulls, hat man nur die Möglichkeit über das letzte Spiel zu reden. Verlieren die Bulls, ist niemand in der Lage mit dir zu reden, weil sie alle zu betrübt sind.

Ich ging also in mein Zimmer, um mich umzuziehen, damit ich ins Bett gehen könnte, denn ich war doch sehr erschöpft, nach diesem Tag. Ich schloß auf und öffnete die Tür. Als ich in das Zimmer hereintrat, sah ich eine Person, die anscheinend schon auf mich gewartet hatte. Es war der Nachfolger der dunkle Stimme, die mir schon öfters aus schwierigen Situationen herausgeholfen hatte.

"Einen guten Abend wünsche ich Ihnen, Mulder", sagte er, "Ich habe von einem Freund gehört, was Sie hier in Chicago treiben und ich bin gekommen, um zu hören, wie Sie in Ihren Ermittlungen vorankommen."

"Es läuft zur Zeit nicht sehr gut", antwortete ich, "Wir haben zwar einige Hinweise, aber wie immer keine konkreten Beweise, die auch ein Gericht annehmen würde. Alles in allem ist es wie immer."

"Ich gebe Ihnen einen Tip, Mulder: Sehen Sie sich noch einmal die Militärbasis an, in der Sie heute waren."

"Aber wie soll ich da unbemerkt hereinkommen?"

"Denken Sie an die Mordfälle, Mulder", Er verschwand aus der Tür und war binnen Sekunden nicht mehr zu sehen.

Ich überlegte einige Minuten. Nach dieser Zeit schossen mir ein paar Fragen in den Kopf, die man nicht sofort alle mit der Militärbasis verbinden konnte:

1) Warum gibt es keine weitere Karte für die Kanalisation außerhalb Chicagos?

2) Warum ist genau in dieser Nähe die Militärbasis?

3) Ist die Militärbasis mit der Kanalisation verbunden?

4) Warum durften wir nicht in Forschungsabteilung der Basis?

5) Wird etwas vor uns versteckt?

Aber auf den zweiten Blick erkannte ich, daß sie alle zusammen gehörten:

Es gibt keine Karte für die Kanalisation außerhalb Chicagos, weil die Basis mit ihr verbunden war und niemand erfahren sollte, daß dort etwas vor sich geht.

Ich entschloß mich, durch die Kanalisation in die Militärbasis einzubrechen. Aber Scully durfte davon nichts mitbekommen, denn sie würde versuchen, mich von diesem Vorhaben abzubringen. Ihr sind diese Aktionen immer viel zu gefährlich und außerdem möchte sie sich keinen Ärger einhandeln. Also entschloß ich mich, ihr nichts von meinem Vorhaben zu sagen.

Ich zog einen schwarzen Pullover, eine schwarze Jeans und schwarze Schuhe an, nahm meine Autoschlüssel und begab mich aus meinem Zimmer. Ich schlich mich zum Auto. Dann stieg ich ein und fuhr los. Es klingt zwar sehr leicht, aber hier in dem Hotel hatten die Wände Ohren und auch das Personal war sehr daran interessiert, alles über seine Kunden zu erfahren, somit mußte ich sehr leise und vorsichtig sein.

Ich fuhr mit dem Wagen bis zu einem Parkplatz, der ungefähr 5 Meilen vor der Militärbasis lag. Ich stellte ihn so ab, daß niemand ihn auf den ersten Blick sehen konnte. Dann nahm ich eine Taschenlampe mit, die ich vorher eingesteckt hatte, und ging los.

X

Ich mußte noch ungefähr 500 Meter gehen, bis ich einen Gully fand. Zu meinem Glück war er nicht verschlossen, denn in den meisten Städten sind die Gullys abgeschlossen, damit sich niemand darin aufhält, der dort nichts verloren hat. Ich hob den Gullydeckel an und stieg hinunter in die Kanalisation. Zu meinem Glück gab es hier nur ein Rohr, so daß ich keine andere Wahl hatte, als in die eine Richtung zu gehen. Ich ging noch vier Minuten gebückt in der Kanalisation weiter, bis ich auf einmal an einem Nebenrohr ankam, welches ich aber nur durch Glück in meinem Lampenlicht sah. Das Nebenrohr war einmal mit einem Gitter verschlossen, welches jetzt aber verbeult an der Seite lag. Ich dachte mir, daß es hier wohl in die Richtung der Militärbasis gehen mußte und somit begab ich mich in diesen Nebentunnel. Nachdem ich ca. vier Meilen gegangen war kam ich am Ende des Tunnels an. Ich ging eine Leiter hoch und fand mich plötzlich auf dem Gelände der Militärbasis wieder.

Zu meinem Glück hatte mich noch keine der Wachen bemerkt. Wäre dies der Fall gewesen, wäre ich sofort wieder in der Kanalisation verschwunden und niemand hätte mich je wieder in einem Umkreis von 10 Meilen um Chicago herum wiedergesehen.

Aber ich hatte, wie schon gesagt , Glück.

Als erstes sah ich mich in der Gegend um. Ich hatte schon Probleme gehabt, mich bei Tageslicht in dieser Militärbasis zurecht zu finden. Aber bei Nacht war dies noch viel schlimmer. Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß ich von niemand gesehen worden war und auch in der nächsten Zeit nicht gesehen werden würde, stieg ich aus dem Gully aus und schloß ihn wieder mit dem Gullydeckel.

Das Lager wurde zwar sehr scharf bewacht, aber für mich gab es keine Schwierigkeiten, beim durchforsten des Geländes. Dies war aber nur möglich, weil sich die Wachen auf die Bewachung des Geländes von außen konzentrierten. Eine Person, die sich bereits innerhalb der Mauern befand hatte keine Probleme sich ungestört zu bewegen. Und genau diese Person war ich in diesem Fall. Nach einiger Überlegung entschloß ich mich dazu, den Versuch zu starten, das Forschungslabor der Militärbasis zu finden. Ich ging los.

Ein Ziel hatte ich.

Aber wie sollte ich dorthin kommen?

Ich hatte keine Ahnung.

Aber es mußte mir einfach gelingen dieses Labor zu finden, schließlich mußte etwas hinter diesen mysteriösen Morden stecken und ich war der Meinung, daß alles von diesem Labor ausging. Ich versuchte also, mich von einem Haus zum anderen vorzuarbeiten, so daß ich schließlich irgendwann das richtige Gebäude finden sollte.

Nachdem ich ungefähr 10 Minuten in der Basis umhergeirrt war fand ich das Haus, vor dem wir an diesem Nachmittag den Wagen geparkt hatten. Jetzt war es schon viel leichter für mich das Militärlabor zu finden. Ich folgte den Wegen, an die ich mich noch erinnern konnte. Nachdem ich durch eine lange, kalte und dunkle Gasse gegangen war stand es vor mir - das Gebäude, in dem ich die Forschungsabteilung vermutete. Ich ging zur Tür und drückte die Türklinke herunter und - die Tür war offen. Für mich war dies mal wieder eine Bestätigung dafür, daß man in unserem Militär nicht gerade sehr professionell im Bewachen war.

Ich sah als erstes einen langen Gang vor mir , in dem sich links und rechts Türen befanden. Das Licht war an und somit mußte ich mich vorsehen, da man mich jetzt von außen sehr leicht sehen konnte. Ich wußte noch, daß sich die Forschungsabteilung am Ende des Ganges befinden mußte und deshalb ging ich weiter in diese Richtung.

Als ich noch zirka 10 Meter vor mir hatte sah ich einige Schatten am Ende des Ganges. Ich wollte die naheliegendste Tür auf der linken Seite nehmen die sich mir anbot, um mich zu verstecken. Also drückte ich die Klinke dieser Tür herunter und...

Saint Mari Hotel

Scully wachte mitten im Schlaf auf, als hätte sie etwas erschreckt. Sie hatte etwas, das sie an die Zeit erinnerte, als sie im Koma lag und ich an ihrem Krankenbett wartete, bis sie aufwachte. Es war dieses Gefühl der Leichtigkeit in der sie schwebte, ohne irgendwelche Zwänge und losgelöst. Es kam ihr vor, als ob sie sich wieder von der realen Welt entfernt. Sie driftete in ihrem Traum auf ein grelles Licht zu, das sich für sie irgendwie erleichternd anfühlte. Als sie kurz davor war in dem Licht zu verschwinden, wachte Scully schweißgebadet auf und sah sich in ihrem Zimmer um. Niemand außer ihr befand sich dort. Das grelle Licht war verschwunden. Die Aufhebung der Erdanziehungskraft, durch die sie schweben konnte, war auch nicht mehr vorhanden.

Scully sah auf die Uhr um sich davon zu überzeugen wie spät es war. Es war 1 Uhr 34 in der Nacht. Scully entschloß sich, im Angesicht der Uhrzeit, wieder einzuschlafen, damit sie am nächsten Tag voller Elan wieder an die Arbeit gehen konnte.

Militärbasis außerhalb von Chicago

Ich hatte kein Glück gehabt, denn die erste Tür, die ich öffnen wollte, war verschlossen und deshalb versuchte ich es bei der nächsten und endlich gab es mal wieder einen Erfolg auf dieser Erkundungstour zu feiern. Die Tür ließ sich öffnen und ich verschwand sofort in dem Raum und schloß die Tür hinter mir.

Nach einigen Sekunden gingen zwei Personen an dem Raum vorbei, in dem ich mich befand. Ich konnte sie durch die Fensterscheibe in der Tür nur Schemenhaft erkennen, aber es waren zwei Männer, die hier zur Führung gehörten. Sie unterhielten sich über ein Projekt, das zur Zeit in der Forschungsabteilung durchgeführt wurde. Aber näheres konnte ich nicht hören. Als ich die Außentür zufallen hörte, öffnete ich die Tür einen kleinen Spalt breit, um zu sehen, ob sich noch jemand auf dem Gang befand.

Es war niemand dort, außer einer gähnenden Leere.

Ich ging danach wieder in den Gang hinaus und schloß die Tür. Niemand war zu sehen und so schlich ich weiter zum Gangende. Als ich dort ankam, konnte ich die Wachen sehen, die uns am Nachmittag vom Betreten der Forschungsabteilung abgehalten hatten. Mir fiel nichts ein, was ich mache könnte um sie von dort wegzulocken. Also wartete ich einige Zeit, um zu überlegen.

Mittlerweile war es zwei Uhr und mir fiel immer noch nichts ein.

Plötzlich kratzte das Funkgerät der einen Wache: "Watcher One, hier ist H.Q., Watcher One, hier ist H.Q. Hören Sie mich? OVER."

"Hier ist Watcher One. Was ist los? OVER."

"Wir brauchen Sie beide hier für einen Code 1. Hören sie mich? Einen Code 1. OVER."

Plötzlich fielen mir meine Autoschlüssel auf den Boden.

"Was war das?", sagte eine der Wachen.

"Ich habe nichts gehört", sagte die andere.

"Dann muß ich Halluzinationen haben. Ich sollte mal zum Arzt gehen."

Das war Glück, dachte ich mir.

Die Wache sprach jetzt wieder in ihr Funkgerät: "In Ordnung, wir kommen gleich zu Ihnen. OVER."

Das Funkgerät verstummte und die Wachen setzten sich in Bewegung. Ich lief so schnell ich konnte zurück zu der Tür, wo ich mich schon vorher versteckt hatte. Kurz danach kamen sie an dem Zimmer vorbei und gingen aus dem Gebäude heraus.

Endlich war die Zeit reif, um das Geheimnis dieser Basis zu lüften.

Ich ging um die Ecke, die noch vor einigen Minuten gut bewacht war und sah mich um. Dieser Gang war wie der andere Türen an beiden Seiten und weiß gestrichen. Ich ging einige Meter weiter und kam dann zu einer Tür , an welcher ein Schild montiert war: "Forschungsabteilung. Zutritt nur mit gültigem SN5 Ausweis," stand in großen Buchstaben darauf.

Außerdem konnte man ein Septagon sehen, in dem sich ein Zentaur mit einem gespannten Bogen befand. Leider gab es keine Fenster zu diesem Raum, so daß ich nicht sehen konnte, ob sich noch jemand in ihm aufhielt. Auf gut Glück drückte ich die Türklinke herunter und nichts passierte. Die Tür war verschlossen. Zu meinem Glück hatte ich früher einmal einen Freund, der Mitglied in einer Gruppe war, die Autos knackte, um damit in der Gegend herumzufahren. Er war nicht gerade die Unschuld in Person, aber er hatte mir einmal gezeigt, wie man eine Tür mit dem richtigem Werkzeug aufbekommen kann. Und seither hatte ich diese Gabe nicht verlernt. Ich sah mich in dem Gang um und fand nach einigen Sekunden einen Draht, mit dem ich die Tür aufkriegen konnte.

XI

Als ich die Tür geöffnet hatte fand ich mich in einer Dunkelheit wieder, wie ich sie noch nie gesehen hatte. Ich tastete mit meiner rechten Hand nach einem Lichtschalter und fand ihn nach einiger Zeit auch. Ich drückte ihn und ...

Ich konnte kaum fassen, was ich da vor mir sah.

Das Labor in dem ich mich jetzt befand war riesengroß. In ihm waren mehrere Tische auf denen einige DNA-Proben waren. Außerdem gab es auch noch Kühlschränke in denen man die restlichen DNA-Proben aufbewahrte. Das ganze Labor sah nicht gerade einladend aus, aber es gab eine gewissen Arbeitsatmosphäre wieder. Auf den ersten Blick sah es so aus, als ob man hier bei verschiedenen DNA-Ketten genau untersuchte wie einige Krankheiten, wie z.B. Krebs, an der DNA abgelagert sind. Das ganze wurde dann protokolliert und ausgewertet. Aber als ich die Tür zu einem Nebenzimmer öffnete machte ich eine interessante Entdeckung. Der Nebenraum war ungefähr 10 m2 groß. Vor mir stand eine Kammer aus Stahl. An ihr konnte man ein Thermometer erkennen, das -156°C anzeigte.

Ich drehte die Kammer um und blieb versteinert stehen. In der Kammer war eine reptilähnliche Gestalt, die aussah als wäre sie eine Kreuzung zwischen einem Menschen und einem Alligator. Dieses Ding war in einem tiefen Schlaf und hatte die Augen geschlossen.

Ich wollte mich gerade umdrehen und einige Unterlagen aus diesem Labor einstecken, damit ich wenigstens dieses Mal einige Beweise hatte, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen, als ich einen metallenen Gegenstand in meiner Wirbelsäule vernahm.

Vier Soldaten standen hinter mir und forderten mich auf mich langsam umzudrehen und dabei die Hände über den Kopf zu nehmen. Sie führten mich aus dem Gebäude heraus und gingen mit mir einige hundert Meter, bis sie mich plötzlich anhielten und mir ein Band um die Augen legten. Ich hörte eine Person mit schnellen Schritten näherkommen. Sie hielt kurz vor mir an und sagte: "Aha, Agent Mulder." Es war Colonel McGuire. "Ich dachte Sie hätten genug von meiner Basis erfahren, um zu wissen, daß niemand von meinen Leuten diese Morde begangen hat." Er hörte sich sehr gereizt an.

"Ja , das weiß ich, denn es war eine von Ihren Kreaturen." So vorzugehen war sehr riskant für mich, aber ich hatte bis jetzt noch nie ein Blatt vor den Mund genommen.

"Sie denken also zu wissen, was in dieser Basis vor sich geht?"

"Sie züchten diese Monster, um einen perfekten Soldaten zu schaffen."

"Das ist nicht ganz richtig, aber auch nicht falsch, Agent Mulder. Wir haben als erstes eine Menge Forschungsarbeit hinter uns, bevor wir uns an die ersten Experimente mit der DNA aus Menschen und Tieren wagten. Diese Kreuzung aus Mensch und Alligator ist erst der Anfang. Bald werden wir uns an Versuche mit anderen Tierarten heranwagen und dann kann uns niemand stoppen."

"Aber das geht doch alles nicht", entgegnete ich ihm, "Man kann dies doch nicht alles vor der oberen Führung, wie dem Pentagon und dem CIA , geheim halten."

"Das brauchen wir auch nicht, Agent Mulder. Raten Sie mal, von wem der Auftrag für diese Versuchsreihe kam. Die endgültige Schöpfung wird so gut ausgebildet sein, daß sie mühelos politische Gegner umbringen kann, ohne daß jemand etwas davon mitbekommt. Dann hat man auch nicht mehr solche Probleme wie bei dem Attentat auf J.F.K. Es sind immer noch Hobbydetektive unterwegs und versuchen den Mord aufzuklären. Bei unseren Mensch-Tier-Soldaten wird niemand auch nur auf die Idee kommen, daß es sich um einen Mord handeln könnte. Es wird keine Anhaltspunkte geben."

"Sie sind doch verrückt, McGuire. Geben Sie lieber auf, bevor es noch größere Komplikationen gibt als dieses Mal."

"Ach, das war nur ein Fehler in der Bewachung der Stahlkammer. Das wird nicht noch einmal vorkommen. Wir haben alle Sicherheitsmaßnahmen verstärkt."

Es blieb eine Weile still, bis McGuire sagte: "Das war dann wohl das letzte Mal, daß wir uns wiedersehen. Sie haben Glück ,Mulder, daß Sie so mächtige Freunde haben, sonst hätte ich Sie jetzt umbringen lassen. Tun Sie es!"

Ich dachte sie würden mich jetzt wirklich erschießen, aber dem war nicht so. Ich spürte einen harten Stoß in meinem Nacken und im nächsten Moment war ich bewußtlos.

Saint Mari Hotel

Scully wachte auf und sah ein Maschinengewehr, daß auf ihr Gesicht gerichtet war, worüber sie natürlich nicht sehr erfreut war.

Ein Mann in Uniform kam auf sie zu und sagte: "Agent Scully, wo sind die Akten von Marla Grand und vom zweiten Mordfall? Sagen Sie es mir schnell, oder es wird ein Unglück geschehen." Er sprach in einem sehr aufgeregtem Ton und sah auch dementsprechend aus. "Agent Scully, ich frage Sie noch einmal. Wo sind die Akten?"

Scully deutete mit dem Zeigefinger auf den Safe in ihrem Zimmer, in dem sie den Aktenkoffer verstaut hatte.

"Der Code."

Nachdem Scully ihm die Codes für den Safe und den Aktenkoffer gegeben hatte, ging er auf den Safe zu, öffnete ihn und zog die Papiere aus Scullys Aktenkoffer.

"Danke, Agent Scully, daß Sie es uns so leicht gemacht haben. Es war ja auch in Ihrem Interesse. Somit mußte niemand verletzt werden." Er drehte sich um und verließ zusammen mit den anderen Soldaten das Zimmer. Im Türrahmen blieb er stehen und sagte: "Ach, und wenn Sie Agent Mulder helfen wollen, dann gehen Sie in sein Zimmer und befreien ihn von seinen Fesseln. Auf Wiedersehen." Er schloß die Tür und man hörte ein Militärfahrzeug mit hoher Geschwindigkeit davonfahren.

Scully zog sich schnell eine Bluse, eine Hose und ein paar Schuhe an und rannte ins Nebenzimmer. Sie öffnete die Tür und vor ihr lag ich, mit einem dicken Strick verschnürt und einem Knebel im Mund.

"Mulder was ist passiert?" ,fragte sie mich sofort, aber bei mir kam nur etwas wie: "Mhmmhhmmh" heraus.

Scully öffnete meine Fesseln, so daß ich mich von dem Knebel alleine befreien konnte.

"Ich wurde in der Militärbasis niedergeschlagen", sagte ich ihr, als Antwort auf ihre Frage, "Alles weitere kann ich Ihnen nachher noch erzählen."

Scully sah sehr aufgeregt aus und ich fragte sie, wie es ihr hier ergangen sei. Sie erzählte mir die ganze Geschichte und ich kam zu dem Entschluß, das wir so schnell wie möglich zu Caphorn fahren mußten, um die restlichen Beweise sicherzustellen.

Scully zog sich einen Mantel über, denn draußen hatte es wieder zu schneien begonnen. Wir liefen zu unserem Wagen und stiegen ein. Ich steckte den Autoschlüssel in das Zündschloß und startete den Motor. Wir fuhren so schnell durch die Straßen von Chicago, daß man hätte glauben können der Teufel sei hinter uns her. Wir hatten Glück, denn auf den Straßen, die wir entlang fuhren, waren zur Zeit keine Polizeistreifen unterwegs. Sonst hätten wir auch noch ein hohes Bußgeld zahlen müssen. Nach circa 10 Minuten kam der Wagen auf dem Parkplatz vor dem Polizeihauptquartier für Gewaltverbrechen zum Stehen und wir stießen die Wagentüren auf.

Ich rannte voraus und Scully blieb dicht hinter mir. Wir liefen durch die Gänge des Gebäudes und kamen nach einem kurzen Sprint in Caphorns Büro an. Es war durchwühlt worden und sah aus, als hätte jemand in ihm nach etwas gesucht. Ich durchforstete die Akten, die auf dem Boden lagen, konnte aber keine Spur vom Rest finden.

Noch während ich den Aktenberg durchsuchte, kam Caphorn in das Zimmer hinein und sah verblüfft auf mich.

"Was ist den hier geschehen?", fragte er völlig überrascht.

"Sie sind da gewesen", antwortete ich ihm.

"Wer sind 'sie'?"

"Ich weiß es auch nicht, aber sie kommen immer ,wenn ich zu viel erfahren habe. Sie kommen so schnell wie ein Tornado, nehmen alles mit, was mit dem Fall zu tun hat, und verschwinden dann auch wieder so schnell ,wie sie gekommen sind. Aber eine Chance haben wir noch. Es gibt noch einige Beweise in der Militärbasis" sagte ich, und weiter: "Caphorn, rufen Sie ihre Männer zusammen. Alles weitere werde ich ihnen auf der Fahrt zu dieser Basis sagen."

"Von welcher Basis sprechen Sie, Agent Mulder?" Caphorn schien auch nichts von dieser Militärbasis außerhalb von Chicago zu wissen.

"Das erzähle ich Ihnen später, Caphorn."

Wir fuhren mit vier Streifenwagen und unserem Auto über die Straßen, die zur Militärbasis führen sollten. Als wir am Rande des Waldes ankamen, in der sich die Militärbasis befand, waren Scully und ich wie versteinert. Ein Großaufgebot der städtischen Feuerwehr war uns zuvor gekommen.

Ich lief zu einem der Feuerwehrmänner hin, der aussah, als hätte er einen hohen Posten bei diesem Einsatz , und fragte ihn: "Was ist denn hier los?"

"Sehen Sie das nicht?", antwortete er, "Vor zwanzig Minuten kam ein anonymer Anruf bei uns in der Zentrale an. Jemand sagte, daß es in diesem Wald brennen würde, und das Feuer sich sehr schnell ausbreiten würde."

Ich war am Boden zerstört. Wieder hatten sie es geschafft, mir alle Beweise wegzunehmen. Wieder konnte ich nichts gegen die obersten Spitzen der Regierung unternehmen , und wieder konnte ich von vorne anfangen.

XII

Am nächsten Morgen
Saint Mari Hotel

Nachdem ich noch etwa fünf Minuten versucht hatte, etwas in dem Aktenberg zu finden, hatte ich aufgegeben, und wir fuhren wieder ins Hotel zurück. Den Rest der Nacht konnte ich nicht schlafen, und so sah ich am darauf folgendem Morgen auch aus. Ich ging unter die Dusche, und danach frisierte ich mich erst einmal vernünftig. Scully hatte ihre Koffer schon gepackt, denn wir wollten auch bald wieder zurück nach Washington fliegen. Es gab keine Beweise mehr, mit denen man noch etwas hätte anfangen können. Alle Akten waren verschwunden, Marla war geistig gestört und hätte keine festen Aussagen geben können und die Leichen hatten auf einmal ihre Feuerbestattung bekommen. Eigentlich ist dies nicht möglich, denn Leichen, die mit einem Mord zusammen hängen, dürfen bis zur Aufklärung des Falles nicht bestattet werden, aber irgendeine höhere Instanz hatte dies besiegelt, und wir kamen nicht an die Unterlagen heran.

Wir fuhren noch einmal zu Caphorn, um uns von ihm zu verabschieden.

Nachdem wir ungefähr 15 Minuten gefahren waren, konnte ich mir schon vor meinem geistigen Auge ausmalen, was Caphorn uns entgegenwerfen würde, wenn wir jetzt in seinem Büro ankommen würden: "Die zwei FBI-Agenten, die einen der mysteriösesten Fälle unserer Geschichte lösen wollten, haben sich also nun geschlagen gegeben und wollen sich bei mir verabschieden. Wie weit sind Sie eigentlich mit Ihren Ermittlungen vorangekommen, Agent Mulder? Um Grunde genommen haben Sie überhaupt nichts herausgefunden. Und wo ist der Mörder jetzt? Wahrscheinlich läuft er noch irgendwo da draußen herum und..."

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Der Mörder lief ja immer noch frei herum. Ich griff zu meinem Handy und rief bei der örtlichen Auskunft an.

"Hallo, ich hätte gern die Nummer der Forstverwaltung."

Scully sah irritiert auf. "Mulder, was machen Sie denn jetzt schon wieder? Denken Sie daran das FBI zu verlassen?"

Ich beachtete sie kaum sondern versuchte mir die Nummer zu merken. Mit fahrigen Bewegungen unterbrach ich die Verbindung und wählte die erhaltene Nummer. Es läutet zweimal bis sich endlich die träge Stimme eines Mannes meldete.

"Forstverwaltung, Bernsen hier."

"Agent Mulder, FBI. Hatten Sie in letzter Zeit gerissene Tiere aufgefunden?"

"Mulder, jetzt verlieren Sie vollkommen den Verstand."

Ich versuchte sie weiterhin zu ignorieren und hielt mir das linke Ohr zu, um den Mann besser zu verstehen.

"In der Nähe der Avalon-Höhlen bei den Klippen."

"Danke." Ich beendete das Gespräch und lehnte mich zufrieden zurück. Ich genoß Scullys fragende Blicke.

"Mulder, wollen Sie mir nicht endlich erzählen, was das sollte?"

"Ich war blind, Scully. Ich habe mich so mit der Militärbasis befaßt, daß ich die naheliegendsten Dinge total vergessen habe."

"Und das wäre?"

"Das noch frei laufend Exemplar der Spezies. Fahren sie bitte in Richtung Klippen. Wir haben da noch eine Verabredung."

Sie seufzte und begann, den Wagen auf der engen Straße zu wenden. Sie stellte sich dabei keinesfalls dumm an. Sie war ganz im Gegenteil eine sehr geübte Fahrerin, was ich ihr gegenüber aber nicht gerne zugab. Sie glaubte, ich gehöre zu den Kerlen, die Frauen generell für die schlechteren Fahrer halten, aber das entsprach natürlich nicht der Wahrheit. Und so mußte ich ihr in Gedanken zugestehen: Für eine Frau fuhr sie ziemlich gut.

Nach einiger Zeit und etlichen Hindernissen, die Scully überwinden mußte, kamen wir an einer Seitenstraße an. Hier stand ein Schild mit zwei Wegweisern. Der eine zeigte Richtung Osten und auf ihm stand: Avalon-Höhlen - 5 Meilen. Der andere zeigte Richtung Westen und war schon etwas verrottet. Dem zu Folge konnte man sich vorstellen, was von beidem wohl beliebter bei den Touristen sein würde. Hier konnte man noch schwach Avalon-Wasserfälle erkennen. Scully wollte automatisch nach Osten abbiegen, denn dieser Weg war auch in einem bessern Zustand als der andere, aber ich hatte wieder einen von meinen Geistesblitzen. Der Mörder, nein der Täter, na ja jedenfalls das Reptil, welches wir noch suchten, hatte die Kanalisation zu seinen Revier gemacht und dort kannte es sich wohl auch sehr gut aus. Deshalb entschied ich, daß wir uns erst einmal zu den Wasserfällen bewegen sollten, um dort nachzusehen. Die Avalon-Höhlen konnten wir uns noch früh genug ansehen. Durch meinen instinktiven Trieb gezwungen mußte Scully nun, ob es ihr behagte oder nicht, in die Richtung der Wasserfälle abdrehen und diesen Weg fahren.

Es erschien mir so, als ob sie von vornherein gewußt hatte, was auf sie zukommen würde. Der Weg war noch schlechter gepflegt, als wir dachten. Es gab viele große und weniger große Schlaglöcher und im Wald um uns herum standen auch nicht mehr alle Bäume, wie in ihren besten Zeiten. Einigen waren schon umgekippt, andere waren kurz davor und wieder andere standen so stark, daß sie nicht mal Obelix hätte ausreißen können. Zu unserem Glück versperrte nicht einmal ein umgekippter Baum den Weg, so daß Scully sich nur auf die Schlaglöcher konzentrieren brauchte.

Es waren noch circa 2 Meilen zu fahren, aber den Wasserfall konnte man jetzt schon hören, wenn man das Fenster auf hatte. Er hörte sich sehr melodisch an, als würde er flüstern. Andererseits kann das aber auch nur eine Illusion meiner doch sehr stark ausgeprägten Phantasie gewesen sein. Als wir anhielten lag er vor uns. Ein 14 Meter hoher Wasserfall, der doch sehr imposant auf uns wirkte. Aber wir waren ja nicht gekommen, um uns die Landschaft anzusehen.

Ich begab mich zu einem See hin, der sich unterhalb des Wasserfalls gebildet hatte und sah mich um, als wollte ich sagen: "Hier muß doch etwas sein, denn meine Sinne hatten mich schließlich noch nie getäuscht."

Und so fand ich dann auch nach einiger Zeit etwas, was mein Interesse weckte. Ich hatte mir schon jeden Fleck von diesem Punkt am Ufer aus angesehen, war aber nicht darauf gekommen, einmal nach unten zu sehen. Dort fand ich, hinter einigen Ästen versteckt, einen Eingang zur Kanalisation der offen war.

Ich rief Scully zu, die beim Wagen geblieben war, sie möge doch bitte zu mir kommen, aber irgendwie schien sie mich nicht zu verstehen. Auf einmal bemerkte ich wie laut der Wasserfall doch war, wenn man direkt neben ihm steht. Scully konnte mich in sofern überhaupt nicht hören, weil der Wasserfall einfach so laut war, daß die Schallwellen von meinen Worten, nicht an ihr Ohr dringen konnten. So mußte ich ihr mit anderen Versuchen deutlich machen, was ich entdeckt hatte. Ich fuchtelte mit meinen Armen wild in der Gegend herum und deutete ihr, sich doch hierher zu bewegen. Nach einigen hilflosen Versuchen gab ich es auf, ging zu ihr hin und schleifte sie einfach mit mir zum Eingang des Tunnels.

Ich versuchte ganz vorsichtig mich an etwas festzuhalten, um den Hang hinunter zu klettern, der noch zwischen uns und dem Tunnel lag. Scully gab mir ihre Hände zur Hilfe und so langsam kam ich voran. Ich tastete mit meinen Füßen nach einem Stein oder einer Mulde, wo ich einen stärkeren Halt finden konnte, um nicht sofort in den See zu fallen. Ich schaffte es unbeschadet nach unten zu kommen und begab mich in das Innere des Tunnels. Scully blieb oben, um auf den Wagen aufzupassen, und außerdem wollte sie sich nicht schmutzig machen. Dies nahm ich natürlich zum Anlaß meine Hose zu ruinieren, denn durch den starken Niederschlag, sei es durch Schnee, sei es durch Regen, ergoß sich ein beständiger Strom aus der Röhre in den Fluß.

Ich ging nun weiter und diesmal mußte ich mich nicht bücken, denn der Tunnel war groß genug, um aufrecht zu gehen. Ich konnte mich hier unten ohne Licht bewegen, denn durch die große Öffnung am See strömte sehr viel Licht in den Raum hinein. Nach einigen hundert Metern sah ich rechts neben mir einen Nebengang, bei dem ich nicht weiter als meine ausgestreckte Hand sehen konnte. Er war so schwarz wie die Nacht. Leider hatte ich meine Taschenlampe oben im Wagen bei Scully gelassen, so daß ich mich langsam vortasten mußte. Ich ging zwei Schritte und rutschte auf dem nassen Boden aus. Von jetzt an rutschte ich beständig in einem 30 Grad Winkel nach unten.

Ich drehte mich dabei so schnell um die eigene Achse, daß mir schnell übel wurde. Mal spürte ich den Boden auf meinem Rücken, dann wieder auf meiner Brust. Ich streckte die Arme weit von mich, um meine Rutschfahrt unter Kontrolle zu bekommen. Dies stellte sich als schwerwiegender Fehler heraus. Meine Talfahrt wurde noch chaotischer. Ich begann mich zu überschlagen. Mein Kopf kollidierte unsanft mit der Seitenwand der Röhre, gleich darauf mit der anderen. Ich spürte, wie die Wellen der Bewußtlosigkeit nach mir Griffen und das Letzte, was ich bewußt wahrnahm waren Wassermassen, die über mir zusammen schlugen. Dann konnte ich die Ohnmacht nicht mehr zurück halten.

XIII

Ich wußte nicht, wie lange ich das Bewußtsein verloren hatte. Als ich die Augen aufschlug nahm ich nur schwaches Licht von einer Quelle, die außerhalb meines Blickfeldes liegen mußte, wahr. Ich befand mich in einem sehr alten Teil der Kanalisation, wie ich an dem Zustand der Wände um mich herum erkennen konnte. Direkt vor mir konnte ich einen See aus Abwässern ausmachen, an dessen Ufer ich lag. Die Höhle war wirklich riesig. Ich drehte den Kopf, um zu sehen was hinter mir war, bekam dies aber mit einem stechenden Schmerz in meiner rechten Schläfengegend quittiert. Ich hob die Hand und betastete mit spitzen Fingern die rechte Seite meines Kopfes. Warmes Blut klebte an meinen Fingern, als ich sie von der kleinen Wunde wenige Zentimeter von meinem Ohr entfernt sinken ließ. Wenigstens konnte ich meine Gegend nun in Augenschein nehmen.

Die Höhle erstreckte sich noch weitere 10 Meter vor mir und war grob mit Gegenständen angefüllt, die wohl in jedem Haushalt zu finden waren. Allerdings waren diese Gegenstände ausschließlich als Müll zu bezeichnen. Ein altes, speckiges Sofa zierte die Wand rechts von mir, daneben war ein halb zusammengebrochenes Bett zu sehen, das mit zerrissenen Decken geschmückt war. An der gegenüber liegenden Wand stand ein Tisch, dem ein Bein fehlte und von zwei alten Stühlen gesäumt wurde. Direkt vor mir war ein scheinbar total nutzloser Schrank zu sehen, der ehemals weiß gewesen, von dem aber die Farbe schon zum größten Teil abgeblättert war. In den Regalen war nichts zu sehen. Daneben stand eine alte Stehlampe ohne Schirm. Das Kabel war um den Ständer gewickelt worden. Das i-Tüpfelchen bildete ein antiker Kerzenständer, der für die schwache Beleuchtung sorgte. Für all dies hatte ich im ersten Moment keine Augen. Ich starrte wie gebannt auf das Wesen vor mir.

Ich hatte schon eins dieser Wesen gesehen und im ersten Moment hätte ich sogar geschworen, daß es das selbe war. Aber dann fielen mir Unterschiede auf: dieses Wesen war etwas kleiner, als das andere. Es hatte eine etwas dunklere Farbe und einen Fleck auf der Stirn, der mich auf bizarre Weise an einen Leberfleck erinnerte. Als es das Maul öffnete erblickte ich zwei Reihen messerscharfer Zähne.

Ich schluckte schwer und versuchte verzweifelt meine Fassung zurück zu gewinnen. In einer plötzlichen Bewegung streckte mir das Wesen die Hand (Hand?) entgegen. Mit einem halb unterdrücktem Schrei wich ich zurück bis ich kaltes Wasser an meinen Fingern spürte. Das Wesen ließ langsam seinen Arm sinken und die Bewegung wirkte auf mich fast - ja, was eigentlich: traurig? Dann trat es voll in den Schein der Kerzen und blieb dort stehen, als wolle es mir Gelegenheit geben, es genau in Augenschein zu nehmen.

Es hatte im Grund die Gestalt eines Menschen, nur waren zwischen Finger und Zehen Schwimmhäute zu sehen und es war eindeutig männlich. Die Fingernägel waren ersetzt, an ihrer Stelle waren gefährlich aussehende Krallen zu sehen. Die Haut bestand aus Schuppen, die feucht glitzerten. Der Schädel war haarlos und durch zwei abscheuliche Fischaugen mit länglichen Pupillen verunstaltet. Ich stand auf, wagte es dabei aber nicht, den Blick von der schrecklichen Gestalt zu nehmen. Jetzt gewahrte ich im Hintergrund eine Tür, die ich vorher nicht wahrgenommen hatte. Ich schob mich darauf zu, mit den Händen an der Wand längs tastend. Als ich endlich den kalten Stahl der Tür an meiner Linken spürte konnte ich es nicht mehr erwarten. Ich drehte mich herum und begann mit zittrigen Fingern den Schlüssel, der im Schloß steckte herum zu drehen. Dabei schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf, die sich im Grunde alle um das selbe drehten: Ich wußte das dieses Wesen ein Killer war, geschaffen um zu töten. Es konnte mich mit Leichtigkeit zerreißen noch ehe ich "Hoppla" sagen konnte. Warum tat es mir nichts?

Und da , endlich, erkannte ich meinen Irrtum.

Ich hatte von Anfang an, schon bei meiner ersten Begegnung mit diesen Wesen in der Militärbasis, angenommen, es handele sich um genetisch veränderte Tiere. Dies entsprach aber nicht dem, was ich hier vor mir hatte. Nein, die Wahrheit war viel erschreckender.

Langsam drehte ich mich herum und blickte das Wesen - nein- den Mann an. Er erwiderte stumm meinen Blick und nun erkannte ich auch die Intelligenz in seinem Augen. Und noch etwas, was erst nach einer Weile identifizieren konnte. Hoffnung.

"Mein Name ist...", Ich brach erschrocken ab als meine Stimme als verzerrtes Echo zu mir zurück kam. Ich schloß meine Augen und versuchte mich zu beruhigen. Dann setzte ich erneut an: "Ich bin Fox Mulder. Ich arbeite für das FBI. Ich möchte Ihnen helfen."

Er öffnete plötzlich seinen Mund und warf den Kopf in den Nacken. Ein Geräusch ertönte, das so markerschütternd war, daß ich es erst gar nicht als das identifizierte, was es war: ein Lachen.

"Sie wollen doch auch, daß die Leute, die Ihnen das... angetan haben bezahlen?"

Das Lachen verklang und er lächelte nur noch, was ihm irgendwie ein diabolisches Äußeres verlieh. Aber auch dies Lächeln verschwand kurz darauf. Ich war auf dem richtigen Wege.

"Mit den vorliegenden Beweisen könnten wir eine Anklage wagen."

Irgend etwas in seinem Blick änderte sich. Ich hatte einen Fehler begannen. Es mußte sich für ihn tatsächlich so angehört haben, als wolle ich ihn als Beweisstück bezeichnen.

"Es tut mir leid", sagte ich kleinlaut.

Er senkte seinen Blick.

Was konnte ich nun machen, um seine Aufmerksamkeit wieder (aber diesmal positiv) auf mich zu lenken.

Ich versuchte mich an einigen aufmunterten Worten ihm gegenüber. So etwas wie "Sie können ja nichts dafür", sagte ich ihm, aber dies schien seine Miene auch nicht entscheidend zu ändern.

Nach diesen weniger erfolgreichen Versuchen überlegte ich noch einen Augenblick und kam zu dem Entschluß ihn doch einfach ein bißchen in Ruhe zu lassen, so daß er sich erst einmal vom ersten Schock beruhigen konnte. Ich meine, ich wäre auch nicht so sehr begeistert, wenn jemand in mein Haus stürmt, mich beleidigt und dann versucht, sich mit einer schlechten Entschuldigung herauszureden.

Als er sich auf einen der Stühle setzte, ging ich in seine Richtung, um einen neuen Kommunikationsversuch zu starten. Ich wollte gerade meinen Mund auf machen und ihm von meinem tollen Leben als FBI-Agenten erzählen, als sich die Tür hinter mir öffnete.

Scully stand im Eingang und war sichtlich überrascht über meinen neuen Freund, den sie nicht sehr gut erkennen konnte, denn er hatte sich schnell wieder zurück in die Dunkelheit gezogen. Deshalb konnte sie ihn nicht so gut erkennen und genau deswegen war sie auch nicht erschreckt von seinem Aussehen.

"Es hat so lange gedauert, Mulder, da habe ich mir Sorgen gemacht und nach ihnen gesucht. Nachdem ich einige Zeit umhergeirrt war, fand ich endlich diesen halb verborgenen Eingang. Wahrscheinlich ist er der einzige hier im Umkreis von 30 Meilen."

"Erschrecken Sie ihn nicht zu sehr, Scully. Er ist sehr scheu", sagte ich zu ihr, nachdem ich mir zu ihr umgedreht hatte.

Scully deutete jetzt mit ihrer Hand in die Dunkelheit und sagte: "Das sehe ich. Sie scheinen ja nicht gerade den besten Eindruck vom FBI hinterlassen zu haben. Ihr Freund ist gerade geflüchtet."

"Was?!" Ich drehte mich ruckartig wieder um. "Das ist doch nicht möglich. Wieder geht uns ein Beweis durch die Lappen."

"Kommen Sie, Mulder, ich denke wir sollten jetzt gehen und später noch einmal vorbeikommen. Dann fühlt er sich vielleicht sicherer und kommt aus seinem Versteck wieder heraus."

"Sie haben recht, Scully. Gehen wir."

Wir brauchten 10 Minuten, um wieder zu unserem Wagen zurückzukommen. Als wir an ihm ankamen, öffneten wir die Türen und stiegen ein. Diesmal durfte ich wieder an das Steuer. Ich steckte den Schlüssel in das Zündschloß drehte ihn um und fuhr los. Nachdem wir einige Meter gefahren waren, tauchte ein Schatten im Rückspiegel auf und eine Waffe richtete sich auf Scullys Hals.

"Fahren Sie in Ruhe weiter, Mulder!" Es war wieder die Stimme, die mich so oft vor gefährlichen Situationen gewarnt hatte, mich andererseits aber auch immer öfter in Schwierigkeiten hineinbrachte. Ich hörte auf seine Worte und fuhr bis zur Wegkreuzung zurück.

"Fahren Sie bis kurz hinter die Wegkreuzung, Mulder!" Ich tat es.

"Jetzt halten Sie den Wagen an!" Auch dies tat ich ohne ein Gegenwort.

Vier Militärlaster fuhren an unserem Wagen vorbei, in die Richtung der Höhle. Wir folgten ihnen mit unseren Augen, bis sie nicht mehr zu sehen waren.

"Wer sind die?" , fragte ich die Dunkle Stimme.

"Sie kommen von der Militärbasis, an der Sie so viel Interesse gehabt hatten."

"Sie Bastard! Sie haben mir diesem Tip doch nur gegeben, weil Sie wußten, daß ich gefangen genommen werden würde."

"Was meinen Sie, Mulder, warum Sie wieder freigekommen sind? Nicht weil sie so ein netter, guter und loyaler FBI-Agent sind. Sie sind noch zu wichtig für uns, und wir können Sie nicht jetzt schon verlieren."

"Aber all' die Arbeit die ich..."

"Schweigen Sie, Mulder. Das ist hier jetzt nicht von Belang für Sie."

"Ich war in Wirklichkeit doch nur so lange wichtig, bis ich Sie hierher geführt hatte."

"Ich kann Ihre Gefühle für dieses Tier nicht verstehen, Mulder. Es ist gefährlich und sollte nicht in freier Wildbahn, geschweige denn in Städten, herumlaufen."

Plötzlich hörte man ein lautes Geräusch. Es hörte sich an, wie ein Schuß in einiger Entfernung.

Ich drehte mich langsam um und sah die Stimme an, als wollte ich sie am liebsten umbringen.

"Sie, Sie.."

"Halten Sie sich zurück, Mulder. Sie könnten meine Hilfe noch einmal gebrauchen."

Die Laster kamen zurück. Einer von ihnen hielt noch einmal kurz vor unserem Wagen, um die Dunkle Stimme mitzunehmen. Nachdem er in den Laster eingestiegen war, fuhren diese auch so schnell sie konnte von diesem Ort weg, so daß wir alleine zurückblieben.

Jetzt war ich völlig am Boden zerstört, was hieß, daß Scully sich hinter das Steuer setzen mußte, um uns ins Hotel zurück zu fahren. Ich fühlte, daß es aus war. Sie waren so gründlich vorgegangen wie immer. Aber schlimmer noch: Sie hatten mich benutzt, um ihn zu töten und irgendwie war er ein Mensch gewesen. Hilflose Wut breitete sich in mir aus. Meine Gedanken schienen sich deutlich auf meinem Gesicht ablesen zu lassen und Scully reagierte auf sie: "Es war nicht Ihre Schuld, Mulder. Sie hätten es sowieso gefunden."

"Ihn, Scully. Nicht es. Und sie haben ihn nicht so gefunden. Irgendwann werden sie bezahlen." Ich sagte das nicht, weil es paßte. Ich meinte jedes Wort so, wie ich es sagte. Irgendwann würde ich beweise finden und an die Öffentlichkeit gehen. Und dann waren diese Mistkerle endlich dran.

XIV

Als wir bei der Polizeistation vorbei fuhren, hatten wir unsere gepackten Koffer immer noch im Kofferraum. Wir parkten auf dem für die Polizei vorgesehenem Parkplatz, aber weder Scully noch ich hatten Lust, uns deswegen Sorgen zu machen. Als wir die Tür zu Caphorns Büro einige Minuten später öffneten strahlte uns ein glücklicher Polizeibeamter entgegen.

"Ah, die Obergesetzeshüter", höhnte er, "Wir haben den Erpresser und Mörder gefaßt. Er ist geisteskrank und leugnet die Tat nicht. Daß die Bürger der Stadt wieder ruhig schlafen können verdanken sie der gemeinen Polizei." Er starrte uns böse entgegen.

"Meinen Glückwunsch, Caphorn. Wir können wohl noch viel von Ihnen lernen."

Mit dieser Bemerkung meinerseits hatte er nicht gerechnet. Er rang sichtlich um seine Fassung, fand sie aber erst nach einigen Sekunden wieder.

"Miß Grand soll zurück in die Nervenheilanstalt gefahren werden."

"Wir übernehmen das", gab Scully zurück.

"Aber, Scully", widersprach ich ihr.

Sie zog mich zur Seite und flüsterte mir leise in mein Ohr: "Mulder, ich denke nicht, daß Caphorn so etwas mit dem richtigen Ernst erledigen kann."

"Na gut, Scully. Wenn Sie unbedingt wollen, dann bringen wir Marla wieder zurück in ihre Heilanstalt."

Caphorn ging hinunter, dorthin, wo die Zellen des Gebäudes waren, und kam nach einigen Minuten mit Marla an der Hand wieder zurück.

"Hier haben Sie sie", sagte er und fügte hinzu: "Und unterschreiben Sie bitte hier unten auf dem Bogen, damit wäre dann nämlich alles wegen der Verantwortung und so geklärt. Und vergessen Sie die Akte nicht, Agent Scully." Er reichte ihr die Akte entgegen die eine Menge Daten über Marla beinhaltete.

"Marla gehen jetzt nach Hause?"

"Ja", sagte Scully. "Du kannst jetzt wieder zurückgehen. Zurück zu deinen Freunden und Spielsachen."

"Toll, Marla kann nach Hause." Sie befand sich in einem Glückszustand, den man ihr förmlich ansehen konnte.

Wir bewegten uns zum Wagen und kurz danach fuhren wir los. Wir brauchten eine gute halbe Stunde bis zur Nervenheilanstalt und vor dem Haupttor wurden wir wieder von einem Pförtner aufgehalten. Diesmal gab es aber nicht so viele Probleme, wie beim ersten Mal, denn Scully hatte auf der Fahrt von ihrem Handy aus in der Klinik angerufen und uns angemeldet. Folglich mußten wir nur unsere Namen nennen und der Pförtner ließ uns durch das Tor fahren, um Marla sozusagen gleich vor der Haustüre abzusetzen.

Dr. Stevensen wartete schon mit zwei Pflegerinnen auf uns, als wir an dem Hauptgebäude ankamen. Die Pflegerinnen halfen Marla in einen Rollstuhl und schoben sie in das Gebäude. Scully überreicht der Ärztin die Akte und dabei fiel ein Photo auf den Boden. Ich hob es auf und meine Augen konzentrierten sich auf das Photo. Es zeigte Marla in noch jungen Jahren. Neben ihr sah man eine Frau und einen Mann in Uniform stehen. Als ich mir den Mann genauer ansah, erkannte ich einen Leberfleck an der Stirn, aber mir wurde nicht bewußt, wo ich so etwas schon einmal gesehen hatte. Ich gab Dr. Stevensen das Photo und wir verabschiedeten uns von ihr.

Epilog

Auf der Rückreise vom Hotel, wo wir unseren Leihwagen abgegeben hatten, zum Flughafen, machte ich mir einige Gedanken über den Fall, den wir gerade hinter uns gebracht hatten, während uns ein Officer von Caphorn fuhr.

Wann werde ich endlich die Antworten auf meine Fragen bekommen?

Werde ich jemals einen solchen Fall mit Beweisen zu Ende bringen?

Werde ich Samantha irgendwann wiedersehen?

Als wir dann am Flughafen ankamen, waren wir wie immer in Eile. Der nächste Fall wartete schon auf uns in Washington. Das wußte ich aber auch nur, weil Scully unbedingt Skinner von unserer Rückkehr unterrichten mußte. Also mußten wir uns beeilen. Wir waren eh schon zu spät, um den Flieger noch zu erwischen, aber irgendwie schafften wir es dann doch wieder einmal.

Wir gaben unser Gepäck ab und liefen den langen Gang zum Flugzeug hinunter. Die Bordtür öffnete sich und ein junges, strahlendes Gesicht empfing uns.

"Guten Tag, Agent Scully. Guten Tag, Agent Mulder. Wir haben Sie schon erwartet."

"Guten Tag", antwortete Scully.

Ich zog es vor, stumm zu bleiben. Viel lieber wollte ich noch in meinem Inneren herumphilosophieren, über die Dinge, die ich immer verpaßt habe, nur weil ich immer so viel gearbeitet hatte. Oder über den wahren Sinn des Lebens.

Wir setzten uns auf unsere reservierten Plätze in der Boeing 757, die uns die Stewardeß gezeigt hatte. Scully holte ein Buch hervor, um ein wenig zu lesen.

Das Flugzeug startete und kurze Zeit später gingen die Lichter über den Sitzen an: "Bitte stellen sie das Rauchen ein und schnallen sich fest."

Ich sah nur aus dem Fenster und überlegte.

Mir ging das Bild der Außerirdischen nicht aus dem Kopf, die sich für meine Schwester ausgegeben hatte, um an mich heranzukommen. Ich mußte wieder an Samantha denken.

Die Außerirdische, die sich für meine Schwester ausgegeben hatte, war eine Lüge, aber irgendwo da draußen war die wahre Samantha.

Ja , dachte ich und legte meinen Kopf zurück.

Die Wahrheit ist immer noch da draußen, und das gibt mir meine Kraft.

ENDE

###

Diese Geschichte widmen wir Chris Carter und seinem Team ( Wir haben selten so viele nervöse Menschen gesehen, wie an dem Tag, als die zweite 'Akte-X' Staffel begann )

und allen, die dort draußen nach der Wahrheit suchen.

Danksagung

Wir danken:

* Charles Grant, für seine inspirierenden Bücher

* David Duchovny und Gillian Anderson, dafür, daß sie den beiden Hauptfiguren leben einhauchten und so einen großen Teil vom Reiz der Serie ausmachen

* Der Musikbranche, die für unser Überleben bis 5 Uhr in der Früh sorgten

* Und unseren Familien und Freunden, die uns keinen Streß machten, als wir die Geschichte schrieben.

Außerdem danken wir:

* Silke Eckelmann, die sich als Erste unsere Geschichte angetan hat , und uns zahlreiche Verbesserungsvorschläge gab.

DANKE SILKE

DANKE FÜR DIE MITARBEIT

 

Copyright © 1998 by André C. Green und Archie Ace

 


André C. Green und Archie Ace acgreen@usa.net